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Projekt SELBSTORGANISIERTES LERNEN IM ALTER

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Alten- und Pflegeheim: "Fremde Nähe"
Die soziale Heimstruktur folgt einer nach Funktionszusammenhängen und Symptombildern gegliederten Anstaltslogik. Dauerhaft von Fremdhilfe abhängig/unabhängig zu sein, ist hier die Leitdifferenz, die das Heimleben organisiert. Die "Politik des Verschweigens" beherrscht alle Instanzen. Das Stillhalteabkommen, die Politik des Verschweigens, bedeutet einen Lernprozess der lernenden Heimorganisation unter negativem Vorzeichen und trennt mögliche Bündnispartner, die sich nur noch als gegnerische Kombattanten in dem geschlossenen System wahrnehmen können. In der Not- und Zwangsgemeinschaft des Heims bleiben alle Bewohner/innen auf Dauer "Fremde unter Fremden": Fremde Nähe ist der Beziehungsmodus, der alle Interaktionen strukturiert. Die Heimrituale dienen nicht einer geteilten Tradition, die aus einer gemeinsamen Praxis resultiert, sie stiften statt dessen einen notdürftigen Traditionsersatz, der dem einzelnen äußerlich bleibt und den Gruppen übergestülpt ist. Trotzdem lassen sich ansatzweise positive Lernprozesse in den Wohngruppen beobachten, sobald durch einen zufälligen Anlass eine gemeinsame Praxis entsteht. Auf der Ebene der pflegebedürftigen Individuen beschränkt sich Lernen auf die geförderte Selbstregulation bei Abschluss von der Außenwelt, wenn Bündnispartner unter Angehörigen und Freundeskreis den Lernprozess stützen.

Seniorengenossenschaft: "Erweiterte Nachbarschaft"
Seniorengenossenschaften basieren auf einem Modell moderner Nachbarschaftshilfe, die zwischen der Familienhilfe und der professionellen Altenhilfe angesiedelt ist. Sie konstituieren einen Zwischentypus selbstorganisierter Unterstützungsnetze im lokalen Umfeld, dessen Leitdifferenz die Vertrautheit/Unvertrautheit mit dem sozialräumlichen Kontext ist. Umfeldwissen ist die zentrale Wissensform, Nachbarschaftshilfe ist Teil der Umfeldgestaltung. Die "Politik des Sozialmanagements" führte in der untersuchten  "Seniorenhilfe Dietzenbach" zur Entwicklung von beispielhaften Formen der internen wie externen lokalen Integration ihrer Mitglieder in verdichteten Beziehungen. Die Aktivierung selbstorganisierter Formen der Verständigung, des Engagements und der lokalen Öffentlichkeitsarbeit ist hoch. Grundlage der Gruppenintegration ist ein Austauschmodell von Leistungen und Fachwissen. Was früher spontan zwischen einander bekannten Personen ausgetauscht wurde - an Gütern und Diensten, an Hilfe und Kontakt -, vollzieht sich jetzt innerhalb einer organisierten Tauschgemeinschaft im lokalen Umfeld. Die Balance von Geben und Nehmen stellt quasi nebenher die persönliche Würde im Tauschverhältnis wieder her und schafft zugleich eine neue Form der Anerkennung für die Einsatzbereitschaft und ein Leistungsvermögen, das unter Umständen lange Zeit brach gelegen hat.

Erzählcafé: "Stellvertreterbiografien"
Das Erzählcafé ist eine Domäne der nachtraditionellen Altenkultur, die hier einen neuen Schauplatz zur Überlieferung, zum Austausch und zur Aushandlung ihres kulturhistorischen Erfahrungswissens gefunden hat. Im Gegensatz zu therapeutisch orientierten Selbsterfahrungsgruppen erlaubt das Erzählcafé, in bloß passagerer Form und ohne Zwang zur Selbstpreisgabe an den Erzählungen anderer teilzunehmen und sich mit der "Stellvertreterbiografie" des Erzählers auseinander zu setzen. Die Grundfrage der "Politik des inszenierten Dialogs" ist dabei: Wie kann persönliche Erfahrung in öffentliches Wissen verwandelt werden? Erfolgreiche Erzählcafés haben eine gemeinschaftsstiftende Funktion, in der eine Generation zu sich kommt, indem sie in interaktiver Vernetzung "ihr Thema" findet. In der im Dialog ausgehandelten Rekonstruktion eines untergegangenen Milieus werden die Zeitgenossen in die Wir-Beziehung eines "reflexiven Milieus" integriert. Individuelle Entwicklung durch Reflexion vollzieht sich im Erzählcafé stets als interaktives Lernen im Schonraum moderierter Dialoge. Doch auch der Erzählende durchläuft einen Lernprozess, wenn er seine Lebensgeschichte als "Stellvertreterbiografie" präsentiert.

Computergruppen: "Nähe auf Distanz"
Anders als in den USA, wo die Mehrheit der Internet-Nutzer bereits über 50 Jahre alt ist, ist in der Bundesrepublik bisher nur eine verschwindende, wenn auch stetig wachsende Minderheit Älterer im Netz aktiv. Trotz der rapiden Zunahme gibt es bisher kaum empirische Untersuchungen zu den Nutzungsgewohnheiten, Zugangs-, Aneignungs- und Verwendungsformen des Computers im höheren Lebensalter. Dies war der Grund, neben den lokalen Fallstudien (Internet-Café "Anschluss", SeniorenComputerClub (SCC), SeniorenNet Rhein-Main, und über e-mail-Kontakt die Senior PC-Freunde Nettetal) eine Befragung per e-mail durchzuführen. Die "Politik der indirekten Kommunikation" schafft "Nähe auf Distanz", schützt vor Erwartungen anderer und vor dem Enttäuschungsrisiko, das mit einer Freundschaft verbunden ist - auch wenn die Mehrheit der Befragten der Meinung ist, dass sich die Art zu kommunizieren nicht wesentlich durch das technische Medium verändert. Typisch für das Lernen in selbstorganisierten Computergruppen ist das "Lernkontinuum", die wechselseitige Lernberatung Gleichaltriger untereinander, die mit dem "Aufstieg" vom Kursteilnehmer zum Trainer verbunden sein kann. Für die zahlreichen Ehrenamtlichen entstehen dadurch soziale Integrationsmöglichkeiten, während andere bei der Gruppe bleiben, indem sie die Kurse wiederholen. Lernen vollzieht sich auf allen Systemebenen nach dem Modus geförderter Selbststeuerung
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Seniorenbüro: "Offene Rollenexperimente"
Als Einrichtung der offenen Altenarbeit hat sich das Institut für Sozialarbeit (IfS) in Frankfurt innerhalb eines Jahrzehnts zu einer Seviceeinrichtung für Ältere entwickelt, die zugleich ein komplexes Betreuungs-, Beratungs-, Bildungs- und Kulturangebot bereitstellt und vielfältige Möglichkeiten ehrenamtlichen Engagements bietet. Die Organisationsform des Instituts auf der Grundlage einer "Politik des Wissensmanagements" bietet vielfältige Möglichkeiten des ehrenamtlichen Engagements und der selbstorganisierten Weiterentwicklung thematischer Bereiche. So ist auch der o.g. SeniorenComputerClub ursprünglich aus dem BüroAktiv des IfS hervorgegangen. Anders als in traditionellen Formen der Vergemeinschaftung, in denen grundsätzlich das Eigeninteresse der Individuen dem Gruppeninteresse untergeordnet ist, wird dem Einzelnen hier von vornherein ein Recht auf individuelle Entfaltung zugemessen: "Rollenexperimente" sind quasi das Elixier der "reflexiven Milieus" in den Gruppen, das die reflexive Erzeugung von Differenzen, nicht aber deren Überwindung fördert. Je stärker die Einzelstimme zur Geltung kommt, umso vielfältiger differenziert sich die Gruppe, um so variantenreicher wird das Rollenangebot in ihr. Aus dem Nebeneinander von Ehrenamtlichen und von professionellen Begleitern in den Gruppen entstehen produktive Reibungsflächen, die einen Prozess der Grenzüberschreitung durch Aushandlung nach beiden Seiten auslösen. Selbstorganisation wird hier zum Lernprinzip.

Seite erstellt von Andrea Mader, letzte Änderung: 31.8.2000