Gudrun Lenz, uNIDO e.V./Stefan Brée, April 1999
Eigen ist Art
Bildung als Wahrnehmungs- und Gestaltungsexperiment
Das Projekt wurde mit dem Innovationspreis 1999 des DIE e.V. ausgezeichnet
Man kann Farben, fühlen und schmecken - sagt Goethe. Alltag - im Café sitzen und durchs Fenster schauen. Ein grüner Papierkorb und eine grüne Ampel im Hintergrund. Sie kommen ins Gespräch. Farbspiele. Selektive Wahrnehmung ist der erste Gestaltungsimpuls. Ein Thema bildet sich: Grün in Grau. Bilder entstehen. Spurensuche, losgehen, hinschauen, nachspüren. Eindrücke sammeln und archivieren. Der ganze Körper denkt in Bewegungen. Spannung. Kontraste. Unfertiges und Perfektes. Lebendiges ist schon ganz schön viel und veränderlich. Bildungsprozesse. Die meisten Menschen haben die unendlichen Möglichkeiten des Wahrnehmens und Lernens bereits vergessen oder verlernt. Spielerisches Experimentieren, Forschen und Fragen ohne konkretes Ziel, aus sich selbst und aus den Phänomenen der Dinge heraus kommt immmer seltener vor. Im Kindergarten und in der Schule ergibt das den "pädagogischen Untergrund". Das "Wichtige" findet woanders statt. Heute muß jeder sein Leben eigenständig und kompetent gestalten können. Denken ist ein ganzheitliches Erlebnis: bewegen, hören, tasten, fühlen, sprechen, sehen, phantasieren usw. Lebenslang lernen als Lust am Probieren, am Worte, Zeichen oder Ausdrucksformen finden, der eigenen Intuition und Reaktion trauen und sie zur Basis machen. Die Freude des Findens von wirklich Eigenem und manchmal auch verrückten Lösungen von Problemen, alleine und gemeinsam. Der Prozeß der Veränderung, Verwandlung, des Neuzusammensetzens, Vertauschens, Hinzutuns, Wegnehmens, Verkleinerns, Vergrößerns, Verfremdens, Vermutens, Probierens und Erfindens.
Bildungstheoretiker nennen das komplexe, spannungsreiche, multimediale und paradoxe Lernprozesse in einem optimalen und anregenden Lernumfeld. Kinder können das noch, Erwachsene meist nicht mehr und Künstler immer noch oder schon wieder. Uns beruhigt die Formulierung "schon wieder". Man kann es also wieder lernen und genau das haben wir in dem Weiterbildungsprojekt "Eigen ist Art" angestrebt. Wir haben Vergessenes reanimiert und rekonstruiert, damit Pädagogen begreifen, was sie eigentlich mit Kindern und sich selbst tun oder besser nicht tun. Und dann muß man darüber reflektieren und diskutieren, worum es in der Praxis eigentlich geht. Was sind Bildungsprozesse? Wie muß Pädagogik heute aussehen?
Zum Beispiel: Ein leerer Raum mit Unmengen von Pappe oder Papier und eine Gruppe Pädagogen mittendrin. Was machen sie aus so einer Situation? Aufräumen? Nein, stellen Sie doch mal einen pädagogischen Schlüsselbegriff mit Pappe dar, und wie sieht der dann aus? Die Hilfsmittel: keine. Doch, die Hände, der Körper, die Gedanken, Gespräche, Gefühle, Erinnerungen. Da kommt man schnell zum Wesentlichen. Und keiner ist da, der das bewertet. Sie steuern das selbst. Und es wird nachgefragt: Welches Konzept haben Sie entwickelt und warum es so dargestellt. Dabei ergeben sich Fragen. Sie sagen das, die Form zeigt aber mehr oder anderes. Warum?
Oder aber es gibt gar keine Fragestellung. Spielen Sie einfach. Sinnlos. Total frei. Tun Sie, was Sie schon immer machen wollten. Wissen Sie überhaupt, was Sie wollen? Wie, das können Sie nicht, probieren Sie es doch mal. Später dann - komisch, irgendwie hat es ja Spaß gemacht. Hier entdecken Erwachsene wieder ihre Lust am Spielen.
Und dann der praktische pädagogische Selbstversuch. Machen Sie dasselbe in der Schule oder im Kindergarten. Eine Woche später: Irre, die Kinder haben wahnsinnig toll gespielt und die schönsten Sachen erfunden. Ich stand daneben, die haben mich gar nicht bemerkt und kamen nur manchmal, wenn sie Farbe oder einen Stift brauchten. Ich kam mir überflüssig vor. Warum bin ich eigentlich nicht gegangen? Man sieht, hier geht es schon wieder ans Eingemachte, welche Rolle spielt eigentlich der Pädagoge - Beobachten und Bereitstellen oder Belehren und Vorgeben?
So ungefähr spielt sich das ab in der künstlerisch-ästhetischen Werkststatt. Eigenes und Kontroverses ist gefragt. Das hat wenig mit konventionellen Bildungsweisen und traditioneller Kunstpädagogik zu tun. Unser Konzept macht Strategien zum offenen Lernen, zu heterogenen und pluralen Lebensformen, zu Selbsthilfe- und Selbstbildungsfähigkeit sinnlich erfahrbar. Statt harmlosem Bastelspaß geben wir fundierte und tiefgreifende Infusionen kreativen Potentials. In gemeinsamen Werkprozessen tauchen verlorene Teile von Identität und Authentizität wieder auf. Sie werden reflektiert, selbstbewußt und lustvoll erlebt und dann in den pädagogischen Berufsalltag übertragen.
Kontakt
Stefan Brée
Skalitzer Straße 27
10999 Berlin
Tel. 030/6 12 78 60
stefan.brée@snafu.deGudrun Lenz (uNIDO e.V.)
Marchlewskistr. 25 c
10243 Berlin
Tel. 030/2 96 25 35
Stefan Brée/Gudrun Lenz: Eigen ist Art.
Bildung als Wahrnehmungs- und Gestaltungsexperiment. Online im Internet – URL:
http://www.die-frankfurt.de/esprid/documente/doc-1999/innov_eigen_ist_art.htm
Dokument aus dem Internet-Service des Deutschen Instituts für
Erwachsenenbildung e. V. –
http://www.die-frankfurt.de/esprid