Ion Dumitru, Universität de Vest din Timisoara, März 2000


Erwachsene lernen anders

Zum Lernen Erwachsener und zu den spezifischen Methoden, die dabei für Lehrende nötig sind, hat Professor Dr. Ekkehard Nuissl von Rein im März ein Seminar an der Universität de Vest din Timisoara abgehalten. Teilnehmer waren Mitglieder des Lehrkörpers der Universität. Zum Thema des Seminars "Methoden der Erwachsenenbildung" führte Dr. Ion Dumitru ein Interview mit Prof. Nuissl von Rein.

I.D.: Sie sind ein sehr guter Spezialist in Erwachsenenbildung mit einer großen Erfahrung auf diesem Gebiet. Wenn Sie in einigen wenigen Sätzen die wichtigsten Themen der Erwachsenenbildung zusammenfassen sollten, welche wären dies?

E.N.v.R.: Die Gesellschaft verändert sich zur Zeit rapide. Wir sind in den europäischen Ländern im Übergang von einer Industrie- zu einer Informations- und Dienstleistungsgesellschaft. Ganze Industriezweige wie Stahl und Kohle verschwinden oder werden immer unbedeutender, während andere wie die Informations- und Kommunikationstechnologie immer mehr an Bedeutung gewinnen. Unsere Art des Zusammenlebens ändert sich, die Bedeutung der Familien nimmt ab, Alleinerziehende Elternteile sind heute schon normal. Ästhetik, Bildung, Wissen werden immer wichtiger. In den osteuropäischen Ländern kommt hinzu, dass hier der grundlegende Wandel von sozialistischen Planungsstrukturen zu Strukturen des Marktes noch nicht abgeschlossen ist, im Gegenteil, in einigen Ländern wie in Rumänien sich die Transformationsprobleme eher noch verstärken. Um all dies zu meistern, müssen erwachsenen Menschen viel lernen, sich auf die neuen Gegebenheiten einstellen, sich qualifizieren, mehr über sich selbst, ihre Möglichkeiten und Grenzen erfahren. Sie müssen lernen, sich nicht nur an neue Qualifikationsstrukturen anzupassen, sondern diese auch von ihren eigenen Interessen her zu beeinflussen und zu gestalten. Dies bedeutet die Notwendigkeit beruflicher Qualifizierung ebenso wie politischer Bildung, kulturellen Lernens ebenso wie eigener Entfaltung. Es gibt kein Alter, in dem dies endet. Und es beginnt bereits mit dem ersten Lernen als Kind - deshalb sprechen wir heute umfassend vom lebenslangen Lernen, in dem Erwachsenenbildung ein wichtiger Teil ist.

I.D.: Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Unterschiede zwischen dem Lernen von Kindern und dem Lernen von Erwachsenen?

E.N.v.R.: Kinder wachsen in eine Welt hinein, die von den Erwachsenen gestaltet ist. Sie müssen sich auf die geltenden Regeln einlassen, grundlegende Kulturtechniken aneignen, die ‘Welt so aneignen, wie sie ist. Erwachsenen verfügen über diese Kulturtechniken, sie sind diejenigen, welche die Welt gestalten. Erwachsenen verfügen über ein großes Wissen im Beruf und im Privaten, haben zu allen Fragen ihrer Person und ihres gesellschaftlichen Umfeldes Kenntnisse und vor allem eine eigene Meinung und Interpretation, haben eine persönliche und berufliche Identität. Alles das, was Erwachsene neu lernen, bedeutet gleichermaßen ein Verlernen bereits vorhandenen Wissens, vor allem aber ein Uminterpretieren von Kenntnissen, eine Arbeit an der eigenen Identität. Erwachsene lernen interessengeleitet, von ihren eigenen Erfahrungen ausgehend, ordnen alles neue in schon bestehende kognitive und subjektive Wahrnehmungen ein. ‘Das Lehren von Erwachsenen muss berücksichtigen, dass Erwachsene bereits ihr Leben meistern, selbstbewusst und kompetent sind.

I.D.: Es gibt spezifische Methoden in der Erwachsenenbildung; können Sie einige benennen?

E.N.v.R.: In der Tat: Erwachsenenbildung ist derjenige Bildungsbereich (neben Schule und Universität ), der am kreativsten und weitreichendsten Methoden des Lehrens und Lernens erprobt und weiterentwickelt hat. Die meisten von ihnen können auch in anderen Bildungsbereichen, z.B. an der Universität, eingesetzt werden. Diese Methoden gehen von drei wichtigen Grundsätzen aus. Der erste heißt: Erwachsene sind Menschen mit eigenen Kenntnissen und Erfahrungen, die berücksichtigt und im Lehr-Lern-Prozess fruchtbar gemacht werden müssen; Erwachsene sind daher nicht Konsumenten, sondern gestalten den Lehr-Lern-Prozess mit. Der zweite heißt: Gelernt wird am effektivsten, wenn die Lernenden selbst aktiv sind - diese lerntheoretische Annahme ist inzwischen empirisch gut belegt. Die Lehrmethoden müssen daher die lernenden Erwachsenen aktivieren, sie involvieren und mitverantwortlich für den Lehr-Lern-Prozess machen. Der dritte heißt: Menschen, auch erwachsene Menschen, sind nicht nur Verstandeswesen, sondern haben Gefühle und Sinne. Methoden der Lehre müssen daher den ganzen Menschen einbeziehen, Kopf, Herz und Hand (Head, Heart and Hand) am Lernen beteiligen. Es gibt ungeheuer viele Methoden, welche diese drei Grundsätze berücksichtigen. Ich habe in dem Seminar an der Universität de Vest din Timisoara z.B. den Metaplan eingeübt, eine Methode, das ‘Wissen und die Interessen der Teilnehmenden abzurufen und sie an der Entscheidung über den Gemeinsamen Lehr-Lern-Prozess zu beteiligen. Oder die grundlegende Methode des "Blitzlicht", die vielfach eingesetzt werden kann. Wir haben in Gruppen gearbeitet, eine wichtige Grundstruktur in der Erwachsenenbildung, da dort alle Teilnehmenden zu Wort kommen und ihr Wissen und Ihre Meinung einbringen können. Wir haben unterschiedliche Methoden des Feedback praktiziert. Und wir haben über die Gestaltung des Raumes und der Sitzordnung die Kommunikation verbessert, in der Methode "Marktplatz" auch sinnlich Eindrücke von der Lernkapazität körperlicher Bewegung gehabt. Stehen, Sitzen und Gehen sind ebenso lernrelevante Aktivitäten wie denken und sprechen.

I.D.: Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Gründe für Erwachsene, an Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen?

E.N.v.R. : Die Gründe sind ebenso vielfältig wie die Menschen selbst. Oft hängt die Frage, ob ein Anlass zu einer Bildungsentscheidung wird, davon ab, ob Bildung für die Menschen überhaupt etwas bedeutet, ob sie den Wert von Bildung kennen und schätzen. Vielfach resultiert die Teilnahmeentscheidung aus einem Problem: man merkt, dass die eigene Qualifikation nicht mehr ausreicht, um den Anforderungen des beruflichen Alltags zu genügen (z.B. dann, wenn traditionelle Arbeitsabläufe durch den Einsatz von Computern vollkommen umgestaltet werden). Oder man möchte eine neue Aufgabe übernehmen, für die Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich sind, etwa Sprachkompetenz oder Personalführung. Oder man hat ein Erlebnis, vielleicht ein sehr persönliches, das einen zur Weiterbildung motiviert - etwa ein familiärer oder ein Beziehungskonflikt. Vielfach entstehen Motive aber auch in der Umgebung, durch das soziale Umfeld. Im Betrieb erwartet der Arbeitgeber eine Weiterqualifizierung am Arbeitsplatz, die Ehefrau fordert den Ehemann auf, Tanzen zu lernen, nach einem Umzug auf das Land ist es notwendig, für die Führerscheinprüfung zu lernen und vieles andere mehr. Die Motive für die Weiterbildung sind nicht nur unterschiedlich, sie sind meist eine Mischung verschiedener Motive und, das ist für die Lehre wichtig, sie sind unterschiedlich stark. Fluktuation in Kursen, Drop out, hängt vielfach weniger mit dem Kurs selbst zusammen als mit den bestehenden Motiven.

I.D.: Wie können wir die Arbeit mit Erwachsenen so planen, dass sie effizient lernen?

E.N.v.R.: Das wichtigste ist: die Erwachsenen ernst nehmen. Das zweitwichtigste: die Methoden beherrschen, die notwendig sind, um mit Erwachsenen zu arbeiten. Das dritte: In der Planung Schritte einzuplanen, in denen die Interessen der Lernenden, ihre Erwartungen und ihre Lernfortschritte Thema der gemeinsamen Arbeit sind. Es kann keinen Kurs in der Erwachsenenbildung geben, in dem sich nicht gleich zu Beginn die Lernenden einander vorstellen, ihre Erwartungen und Interessen austauschen und die gemeinsame Arbeit beraten. Der Lehrende muss dabei vor allem moderieren, koordinieren, die Aussagen der Teilnehmer bündeln und zusammenfassen und für das Seminar umsetzen. Ein kognitiver Input der Lehrenden erfolgt erst zu einem späteren Zeitpunkt. Allerdings muss natürlich auch der Lehrende seine Interessen nennen, seine Ziele und seine Erwartungen. In der Erwachsenenbildung ist ein reguläres Mitglied der Seminargruppe, zwar mit einer speziellen Rolle, aber doch nur ein Erwachsener unter anderen. Er bezieht seine Legitimation, andere zu unterrichten, nicht aus einer staatlichen Institution mit der Möglichkeit von Pflicht und Zwang (wie bei Prüfungen an Schule und Hochschule), sondern aus der Akzeptanz durch die Lernenden. Er muss sich daher auch selbst als ganze Person in den gemeinsamen Prozess einbringen.

I.D.: Was sind die wichtigsten Aspekte der Erwachsenenbildung in Deutschland? Begegnen wir ihnen auch in anderen Ländern, oder sind sie charakteristisch nur für Deutschland?

E.N.v.R.: Generell haben alle Länder, die sich im Übergang zur Informationsgesellschaft befinden, ähnliche Probleme und ähnliche Entwicklungen in der Weiterbildung. Dies gilt für die Länder der Europäischen Union ebenso wie etwa für die Vereinigten Staaten. Natürlich gibt es aber spezifische nationale Unterschiede; Weiterbildung ist mehr als alle anderen Bildungsbereiche tief in den sozialen, ökonomischen und politischen Strukturen der Länder verwurzelt, auf das Engste mit deren Entwicklung verbunden. Typisch für alle Informationsgesellschaften von heute ist der schwindende Unterschied von allgemeiner und beruflicher Bildung. Weiterbildung in der Betrieben z.B. enthält heute politische und kulturelle Bildung, soziale Kommunikation und Selbstfindung ebenso wie handwerkliche, technische Schulung an Maschinen und am Arbeitsplatz. In Sprachkursen kann man immer weniger zwischen beruflichen und privaten Interessen unterscheiden. Auch ist das stetige Anwachsen der Teilnahme an Weiterbildung typisch; in Deutschland sind dies heute etwa 50 % der Bevölkerung, die im Verlaufe eines Jahres an Weiterbildung teilnehmen, etwas weniger in den mediterranen Ländern, eher mehr in Skandinavien. Auch die Teilnahmestrukturen sind ähnlich: es bilden sich eher die ohnehin Gebildeten weiter - je gebildeter jemand ist, desto größer ist seine Weiterbildungsteilnahme. Je jünger jemand ist, desto eher nimmt er an Weiterbildung teil. Der Unterschied zwischen Männern und Frauen allerdings, der früher noch relativ groß war, ist heute verschwunden. ‘Frauen nehmen ebenso häufig an Weiterbildung teil wie Männer.

I.D.: Können Sie uns einige Ratschläge geben für die Weiterentwicklung der Erwachsenenbildung in Rumänien?

E.N.v.R.: Mit Ratschlägen von außen soll man immer sehr vorsichtig sein. Es ist besser, man wird zu konkreten Aspekten direkt nachgefragt, dann kann man seine Erfahrungen nennen und im Gespräch besser klären, inwieweit sie auf die jeweilige Situation anwendbar sind. Ich habe den Eindruck, dass die Erwachsenenbildung in Rumänien erst am Anfang steht. Hier muss m.E. die Spezifik des Lernens Erwachsener besser erkannt werden. Auch scheint mir die Aufgabe der Erwachsenenbildung in der Entwicklung der rumänischen Gesellschaft noch nicht ausreichend beschrieben, hier kann sicherlich bildungspolitisch noch einiges klarer benannt werden. Eines aber ist mir vor allem wichtig: Erwachsenenbildung kann es in Rumänien nur geben, wenn es eine rumänische Erwachsenenbildung ist. Man kann vom Ausland lernen, einiges auch adaptieren. Aber Weiterbildung ist, wie oben gesagt, immer auf das Engste verbunden mit der eigenen gesellschaftlichen Identität.

I.D.: Gestern, am 18. März 2000, wurde die Gründung eines rumänischen Institutes für Erwachsenenbildung an der Universität de Vest din Timisoara beschlossen. Sein Name ist:... (I.R.E.A.). Wie, glauben Sie, können Sie dessen Arbeit unterstützen?

E.N.v.R,: Ich freue mich über die Gründung des Institutes und bin sicher, dass es eine gute und hilfreiche Rolle in der weiteren Entwicklung der rumänischen Erwachsenenbildung spielen kann und wird. Das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung hat - als Juniorpartner - das Institut mitgegründet und will seine Arbeit unterstützen. Wir werden dem IREA Materialien zur Verfügung stellen, es in Fragen der Erwachsenenbildung (auf Nachfrage) beraten und gemeinsam mit dem Institut Projekte bearbeiten. Wir gehen davon aus, dass IREA innerhalb der Region Timisoara ein Netzwerk von Institutionen der Erwachsenenbildung aufbauen kann und dass es auch auf nationaler Ebene zu einer Zusammenarbeit der Universitäten und zu guten Kontakten zur Praxis kommen wird. Wir sind sehr zuversichtlich, dass das Institut einen guten Beitrag zur Entwicklung eines rumänischen Weges einer nationalen Erwachsenenbildungsstruktur leisten wird.


Ion Dumitru: Erwachsene lernen anders – URL: http://www.die-frankfurt.de/esprid/dokumente/doc-2000/dumitru00_01.htm
Dokument aus dem Internet-Service des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung e. V. – http://www.die-frankfurt.de/esprid