Elisabeth Faber, November 1997


Vortrag auf der Tagung "Eine Zukunft für Frauen und Männer", 12.-14. November 1997. Vollständige Dokumentation der Tagung

Visionen einer „Menschengesellschaft"

Impulsreferat aus weiblicher Sicht

Dieses Impulsreferat beschäftigt sich mit den folgenden acht Aspekten:

1. Die Sprache und die Definitionsmacht

2. Die Pille und die Kopfgeburten

3. Die Arbeitslosigkeit und die Renten

4. Die Ökonomie und die Kreativität

5. Die Mobilzeit und die Freizeit

6. Die Gesetzgebung und die Macht der Männer

7. Die Eignung und die Quote

8. Die Utopie und die Veränderungen

Allem voran stelle ich den Ansatz einer Definition von „Menschengesellschaft". Ich lehne mich sehr stark an den Entwurf eines Gesellschaftsvertrages, vorbereitet von Politikerinnen und verschiedenen aktiven Frauenrechtlerinnen, an.
Meine Vision einer „Menschengesellschaft": Ich möchte eine moderne Demokratie, in der Bürgerinnen und Bürger gleiche Rechte und Chancen haben.
Ich möchte eine Gesellschaft, die Frauen und Männer gleichberechtigt an Erwerbsarbeit, Familienarbeit, Einkommen, politischer und wirtschaftlicher Macht teilhaben läßt.
Es sollen als Leitbilder gelten: Partnerschaft, Chancengleichheit, Gerechtigkeit und Toleranz.
Ist das wirklich nur eine Utopie? Haben wir nicht im Laufe dieses Jahrhunderts bereits Teilstücke erreicht und umgesetzt?
Ist dieser Entwurf einer Menschengesellschaft nicht die Chance für eine zielgerichtete Umgestaltung unserer Gesellschaft, um auch in Zukunft zu überleben? Geht es hier nicht um eine lebensnotwendige sinnstiftende Demokratie?
Es geht um die Schaffung des Lebensraumes für emanzipierte Partnerschaften – Mann und Frau, Mann und Mann und Frau und Frau – mit Kindern und Alten. Das wird die Aufgabe für grundlegende Strukturveränderungen im nächsten Jahrhundert sein.

1. Die Sprache und die Definitionsmacht

Horchen wir zunächst einmal hinein in unsere Sprache und die Wirkungen im Umgang mit ganz bestimmten Begriffen. Emanzipation, Emanzen, Feminismus oder noch schlimmer Selbstverwirklichung sind im allgemeinen Negativbegriffe, nicht auf allen Benutzungsebenen, aber im normalen Gebrauch, Empfinden und Denkprozeß der meisten Bürger und Bürgerinnen, ganz zu schweigen vom „Stammtischniveau" (leider oft Maßstab vieler Politiker).
Eine Stufe positiver werden Begriffe wie Patriarchat, Hierarchie, ja selbst Macht – zur Zeit sogar Wirtschaftsmacht – gesehen und benutzt.
Ganz schlimm sieht es mit Begriffen wie Quote oder Frauenförderung aus...
Ein Grund für das negative Image dieser Wörter könnte sein, daß es sich hier um Begriffe für Umbruch, Veränderungen, Forderungen, Unbequemlichkeiten, Macht- und Einflußverluste usw. handelt. Die Machtebenen – leider auch oft unterstützt von oberflächlichen Medien – nutzen genau dieses als Strategie der Verhinderung von Veränderungen aus.
Andererseits können wir zur Zeit beobachten, daß positive Begriffe für negative Konsequenzen genutzt werden: Das „Programm für Wachstum und Beschäftigung" ist unter anderem ein Programm für Kürzungen zahlreicher Sozialleistungen. Die Vokabel Reform wird ebenfalls für Einschränkungen, Kürzungen gerade bei Armen, Schwachen, Kranken, Alten und Frauen genutzt (Steuerreform, Gesundheitsreform, Sozialhilfereform usw.). Es geht um Umverteilungskämpfe, und man nennt es Reformen.
Wenn es heute um Utopien geht, möchte ich zunächst unseren Blick auf unsere Sprache, unseren Sprachgebrauch und aus den daraus entstehenden Perspektiven bzw. Interpretationen richten. Ganz konkret lenke ich in den folgenden Beispielen den Blick auf uns geläufige Formulierungen, die frau für Frau und man für Mann definiert und für Handlungsstränge genutzt hat oder noch nutzt.
Als erstes Beispiel zitiere ich das „Heiligste der Frauenbewegung", den Artikel III Abs. 2 des Grundgesetzes: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin."
Es handelt sich hier nicht um ein einseitiges Frauenförderungsgebot, obwohl der zweite Satz dafür die schwer erfochtene und dringend notwendige Grundlage fordert. Ich will es nicht schmälern, das soll nicht falsch verstanden werden. Ich will aber aus dem Blickwinkel der Zukunftschancen für eine Menschengesellschaft als Lebensgrundlage für emanzipierte Partnerschaften diesen Artikel des Grundgesetzes betrachten. Also frage ich: Warum fordern nicht Männer aufgrund dieses Artikels die Gleichberechtigung in Familie und Beruf? Warum entwickeln nicht die Männer Konzepte der Befreiung aus ihren Rollenzwängen, ihren Überforderungen, Engführungen? Warum benennen sie nicht deutlicher ihre physischen und psychischen Schwierigkeiten durch die Härte einer von ihnen geschaffenen Arbeitswelt?

Wo arbeiten Männer an neuen Modellen der wirklichen Gleichberechtigung von Mann und Frau?

Es ist durchaus möglich, den Artikel III aus der Frauennische zu befreien, nicht nur Frau als Diskriminierte, als Opfer, als ewig Aufholende zu beschreiben, sondern ihn als Auftrag für beide Geschlechter, wohl gemerkt als gemeinsame Aufgabe, wahrzunehmen.
Ich erinnere an meine „Einstiegsvision", die da heißt „Aufdeckung bisher in der Sprache einseitig interpretierter Ziele".

Beispiel Nummer zwei: Ich zitiere GG Art. VI 1. Satz: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung."
Welches Leitbild von Ehe und Familie steht hinter diesem Artikel? Zu welchen Festschreibungen, auch der nachfolgenden Ausführungsgesetze, haben diese Leitbilder geführt? Ich wage zu fragen: Wenn es hier nicht allein um die Aufrechterhaltung der „Heiligen Familie" – verstehen Sie mich richtig, ich kritisiere keineswegs die Lebensform „Familie", im Gegenteil, damit soll gemeint sein: Mutter am Herd, Vater hinaus ins feindliche Berufsleben und Kind auf dem Schoß der Oma – gehen soll, wo sind die wirklichen Hilfsangebote für die modernen Familien, damit sie nicht so oft zerbrechen?

Es geht hier auch um das „Recht des Mannes auf Familie"!

2. Die Pille und die Kopfgeburten

Das Grußwort eines Mannes zur Eröffnung einer Kinderkrippe begann mit den Worten: „Wenn Männer Kinder kriegen würden..." Und dann folgte eine herrliche Zukunftsvision. Ich war begeistert ob der Veränderung des Blickwinkels – damals. Doch realistisch betrachtet war es nur ein rhetorischer Gag. Das Geschlecht, das Kinder bekommt, wird auf den in unserer Gesellschaft gängigen und am besten abgesicherten Lebensweg geworfen.
Die Geburt eines Kindes ist Angel- und Verbindungspunkt aller Gleichberechtigungsversuche. Es herrscht das bisher männliche Arbeits-, Versorgungs- und Lebensmuster: Schule, Ausbildung, 40 Jahre Job und Rente. Zur Berufstätigkeit gehört auch die Karriereleiter. Wer Kinder bekommt, hat erhebliche Schwierigkeiten zu bewältigen. Heute läßt sich schon ab und zu feststellen, daß Partnerschaften diese bewußt gemeinsam zu lösen versuchen. Oft heißt diese Erkenntnis jedoch: Verzicht auf Kinder. Und das kann ja auch nicht die Lösung für eine zukünftige Menschengesellschaft sein...
Die Pille wird mit Recht als eine der einschneidensten Erfindungen dieses Jahrhunderts bezeichnet, die die Menschheit veränderte. Kinder sind planbar geworden. Kinder will man oder will man nicht. Das Ob, das Wann, das Wieviel ist planbar. Herrad Schenk nennt es in ihrem Buch „Wieviel Mutter braucht der Mensch? – Der Mythos von der guten Mutter" die „Kopfgeburt".
Aus dem Fortschritt „Pille" folgte auch eine Verschärfung der Konkurrenz der Frauen untereinander – der Konkurrenz zwischen Müttern und kinderlosen Frauen. Interessanterweise findet diese Auseinandersetzung nur zwischen Frauen statt – oftmals offen, aber auch sehr oft versteckt aus einer tiefen eigenen Betroffenheit und Unsicherheit heraus. Da wird die Mutter, die zu Hause bleibt, als „Dummchen am Herd" bezeichnet, diese nennt die Mutter, die auch berufstätig ist und ihre Kinder anderen überläßt, eine „Rabenmutter". Die kinderlose Berufstätige ist karrieregeil, und die Alleinerziehende ist schlichtweg fast immer noch ein Sozialfall.
Diese Konkurrenz und Entsolidarisierung der Frauen untereinander ist der Boden, der jede Veränderung verhindert.

Ich zitiere aus dem Buch von Herrad Schenk: „Wenn Mutterschaft immer mehr zur Privatangelegenheit der Frau wird, dann hat das gravierende Folgen nicht nur für die Frauen selbst und für ihre Kinder, sondern auch für die Beziehung zwischen Vater und Mutter und für die Gesellschaft überhaupt."

Wie heißt es im GG Art. VI Abs. 4? „Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft." Warum hat noch kein Mann gegen diesen Artikel wegen Diskriminierung des Mannes als Vater geklagt? Diesem Artikel liegt ein bestimmtes Bild von Partnerschaft zugrunde. Eigentlich müßte es heute heißen: „Jede Mutter und jeder Vater haben Anspruch..." Denn nach wie vor machen sich Kollegen über einen Vater im Betrieb lustig, an dessen Hemd Reste von Babybrei hängen. „Die Familie zu ernähren ist Sache eines richtigen Mannes – der hat wohl auch so eine Emanze zu Hause!"

Wie sieht also meine „Vision" aus?

Kinder sollen beiden Elternteilen Freude und keine Nachteile bringen. Kinder sollen überhaupt wieder geboren werden. Der Erziehungsurlaub muß geteilt werden, sonst verfällt ein Teil. Lohnersatz soll über eine „Familienkasse", in die auch und gerade die kinderlosen Paare einzahlen, gezahlt werden. Betreuungsangebote, Ganztagskindergärten und Ganztagsschulen sollen ausreichend und mit menschenfreundlichem Personalschlüsseln vorgehalten werden.

3. Die Renten und die Arbeitslosigkeit

Es ist bekannt, wird jedoch immer wieder vergessen: die Rente kann nicht angespart werden. Die Renten werden immer von den gerade Arbeitenden verdient und bezahlt.
Da unser Rentenmodell, ein Dank gilt immer noch Bismarck, jedoch auf dem damaligen Erwerbs- und Familienmodell aufbaut, kommt es zu den heutigen und in Zukunft noch eklatanteren Schwierigkeiten. Das immer noch gültige Rentensystem geht von ca. 40jähriger durchgehender Erwerbsbiographie und auch mindestens ebenso langer Ehedauer aus. Unser Sozialstaat fußt auf Vollbeschäftigung. Diese Vorgaben, diese Strukturen stimmen nicht mehr. Es gibt keine Arbeit für alle, Frauen sind auch berufstätig, Ehe scheitern häufiger, Kinder werden weniger geboren, die Lebenserwartung ist erheblich gestiegen usw.
Die Krise des Rentensystems bedeutet die Chance für einschneidende Veränderungen in der lange geforderten notwendigen Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es ist nicht mehr nur ein Frauenproblem, eine Frauenforderung und damit nicht so wichtig, es ist eine Überlebensfrage unseres gesamten Gesellschaftsmodells.
Hier geht es nicht mehr nur um eine Vision. Hier besteht die Möglichkeit, selbst hartleibige Gegner der Emanzipationsbewegung – wohl bemerkt „beider Geschlechter" – zu dringend erforderlichen Veränderungen zu bewegen.
Es geht um das Überleben einer Arbeitswelt in Verbindung mit der notwendigen Familienreform. Es geht um eine kinder- und altenfreundliche Gesellschaft. Es geht um die Erhaltung einer Gesellschaft mit humanen Werten wie Versorgung, Erziehung, Pflege, ja, Liebe und gegenseitige Achtung.
Hier ist die Vision eindeutig eine einklagbare Chance!

4. Die Ökonomie und die Kreativität

Die alles beherrschenden Regeln der Ökonomie, die zu hinterfragen lange geradezu obszön war, sind ins Straucheln geraten. Ein Riese, der zur Aufgabe hat, Leben zu sichern, ist ins Wanken geraten. So schwierig und oft auch bedrängend diese Krise ist, so kann und muß sie zum Umdenken genutzt werden.
Ich zitiere aus einem Buch von Esthar Vilar und werde danach fragen, wann es geschrieben wurde: „Die wirtschaftliche Lage der westlichen Industrieländer hat sich während der letzten drei Jahre grundlegend verändert. Was 19.. (es wird eine Jahreszahl genannt), als ich mit meiner Arbeit begann, noch wie eine Konjunkturflaute aussah, hat sich zu einer Dauerkrise entwickelt. Die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums scheint ebenso endgültig zu sein wie die damit zusammenhängende Arbeitslosigkeit und das veränderte Konsumverhalten der Bevölkerung. Das alles gibt der Reform eine neue Aktualität: Wenn ihre Einführung vor drei Jahren lediglich opportun gewesen wäre, ist sie jetzt notwendig. Ich werde versuchen, diese Notwendigkeit hier zu begründen."

Wann ist dieser Text geschrieben? Er steht in dem 1981 herausgegebenen Buch mit dem Titel „Die Fünf-Stunden-Gesellschaft". Die fehlende Jahreszahl lautet „1975"!

Damals habe ich das Buch begeistert verschlungen und kam mir vor, als hörte ich von einer Traumwelt. Heute ist es die Chance, neue Arbeitszeitmodelle zu schaffen, um die Versorgung einer Gesellschaft mit ausreichenden Arbeitsmöglichkeiten überhaupt zu sichern. Eine Vision wird zur ökonomisch notwendigen Veränderung. In der letzten Zeit gab und gibt es bereits Modelle. Der Wert von Arbeit muß neu definiert werden. Hausarbeit und Erwerbsarbeit sind von beiden Partnern zu leisten.
Da die Heilslehre der nicht zu teilenden Arbeitszeit erhebliche Fragezeichen bekommen hat, entsteht bereits auch eine neue Firmenphilosophie. Es sind zunehmend gefragt: Enthierarchisierung, Teamarbeit, laufende Qualifikationen und Flexibilität von Beschäftigten, neue Arbeitszeitmodelle für beide Geschlechter... Das seit Jahren gebetsmühlenartig wiederholte „Das geht nicht – das ist zu teuer – Teilzeitmodelle sind nicht machbar" ist „out". Diese „heiligen Kühe" der festgeschriebenen Ökonomie- und Arbeitsmodelle sind ins Wanken geraten – auch bei den Gewerkschaften.
Meine Vision ist also die Kreativität der Ökonomie, um eine humane Arbeitswelt zu erhalten bzw. zu schaffen.

5. Die Mobilzeit und die Freizeit

Ich fand vor wenigen Tagen in der Frauenzeitschrift „Brigitte" einen Kommentar von Franz Alt zum Thema „Die Arbeit wird weiblicher". Da heißt es: „Die Feminisierung der Arbeit wird viele neue Arbeitsplätze schaffen. Der normale Arbeitsplatz wird in vielleicht zehn Jahren schon für die meisten der Halbtagsarbeitsplatz sein – halbe Tage Arbeit außer Haus, halbe Tage Arbeit im Haus. Für Mann und Frau kann das mehr Lebensqualität bedeuten. Die teure Schul- und Berufsausbildung junger Frauen wird im 21. Jahrhundert nicht mehr so häufig im Kochtopf verdampfen. Und Männer werden lernen müssen, vom ‘Arbeitsmann’ zum ‘ganzen Mann’ zu werden und sich nicht länger für bezahlte Arbeit von der Familie freistellen zu lassen."
Der Artikel ist wirklich gut – schlecht ist die Überschrift und schlecht ist der Ort der Veröffentlichung. Beides, Titel und Frauenzeitschrift, suggerieren: Frauenthema, Teilzeit als Frauenfrage. Da die Frauenfrage und Frauenthemen ja nicht die eigentlich wichtigen – oftmals nur die liebevoll geduldeten, auch hin und wieder durchaus gesetzlich abgestützten – Aktionsfelder sind, verkommt die erforderliche neue Arbeitsregelung zu einer weiblichen, minderwertigen, lieb aber harmlosen, ja unwissenschaftlichen Frage.
So geht es auch dem Begriff Teilzeit. Da Teilzeitarbeitsplätze bisher fast ausschließlich Frauenarbeitsplätze sind, sind sie für Männer nicht attraktiv. So fand man neue Bezeichnungen, unter denen eigentlich das Gleiche diskutiert wird: „Mobilzeit oder Wahlarbeitszeit".
Thomas Gesterkamp schreibt in „Publik Forum": „Immer mehr Männer sehen sich mit ungeliebten Erwerbsbiographien konfrontiert, die für Frauen schon lange den Normalfall darstellen: mit einer Mischung aus befristeten Arbeitsverträgen, Teilzeitarbeit und Phasen eines häufig erzwungenen Totalausstiegs."
Wenn sich die Arbeitszeit verringert, verändert sich auch die Freizeit. Vor einigen Jahren ließ Heide Pfarr eine Studie über das Freizeitverhalten von Frauen und Männern erstellen. Ich sage nichts Neues, wenn diese Studie ergeben hat, daß Frauen ihre Freizeit vorrangig für Familienarbeit im engeren und weiteren Sinne verwenden. Männer nutzen Freizeit hauptsächlich für ihre Hobbys. Männer suchen in der Freizeit Herausforderungen, physische und psychische – warum denn sonst gibt es so viele Marathonläufer, Triathleten und ähnliche Supermänner? Ein Psychologe gab schon vor Jahren die Begründung: Der Mann erlegte vor Urzeiten zur Nahrungssicherstellung der Familie auf der Jagd mit Pfeil und Bogen Wildschweine – heute kauft er Steaks aus der Tiefkühltruhe im Supermarkt...
Es mag etwas überzeichnet klingen, doch so ein bißchen ist schon dran …

Die Vision ist also die Gleichwertigkeit von Arbeit, Familie und Freizeit für beide Geschlechter. Ein neuer "Geschlechtervertrag". Es geht nie um die Aufhebung der Unterschiede und um eine Gleichmacherei um jeden Preis. Es geht um die Bewältigung der "Pflichtaufgaben" der "Kür" im gegenseitigen Einverständnis und ohne Rang- und Ansehensfolge.
So schreibt Thomas Gersterkamp in seinem oben näher bezeichneten Artikel: "Eine gut verdienende Frau ist keine Bedrohung männlicher Identität, sondern ein Grund um durchzuatmen. Kürzere Arbeitszeiten und andere Verteilung der Arbeit (auch zwischen den Geschlechtern) sind alles andere als antiquiert oder wirklicheitsfremd. Sie sind der Schlüssel zur Entwicklung neuer Lebensstile im 21. Jahrhundert."

Die Gesetze und die Macht der Männer

Ich bezeichne mich als Frauenbeauftragte nicht als Gleichstellungsbeauftragte. Warum?
Gleichstellung heißt für mich zur Zeit noch das Ausrichten an der männlichen Norm. Gleichstellungspolitik ist also die Aufholjagd der Frauen auf Männerniveau. Darum kann es nicht allein gehen. Es geht um das Lebens- und Gestaltungsrecht beider Geschlechter in Freiheit, Achtung und gegenseitiger Ergänzung.
Doch soweit sind wir noch nicht.
Unsere Gesetze sind aufgrund männlicher Lebensform, Lebenserfahrungen und Lebensmöglichkeiten festgeschrieben worden. Das männliche Leben ist auch hier die überlieferte Norm.
Erinnern wir uns an die letzten Tage: die Revision des Strafrechts. Erst jetzt erfolgte eine schon lange gerade auch von Frauen geforderte Veränderung des Strafmaßes bei Gewaltdelikten. Das Strafmaß für Eigentumsdelikte lag in vielen Fällen höher als das für Gewaltdelikte. Da gibt es das berühmte Beispiel der Klopapierrolle im ICE.
Das Entfernen einer Klopapierrolle im ICE ist ein Offizialdelikt, das sich an öffentlichem Eigentum vergangen wird. Das Schlagen der eigene Frau ist - vorausgesetzt es geschieht nicht mit wirklich gefährlichen Gegenständen und verursacht nicht schreckliche Verletzungen - kein Offizialdelikt. Eine Anzeige erfolgt -wenn überhaupt - auf Antrag der Frau.
Andere Beispiel will ich nur kurz andeuten:
§19 Ausländergesetz, das festschreibt, daß eine Ehe 4 Jahre dauern muß, um ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu erhalten. Das kann 4 Jahre Quälerei bedeuten. Ferner gibt es keine Anerkennung von frauenspezifischen Asylgründen wie Vergewaltigung, Beschneidung, Auspeitschen usw. …
Im Ehe- und Familiengesetz hat es bereits Veränderungen gegeben, die der modernen Partnerschaften entsprechen - siehe Ehegesetz von 1976.
Ich haben die Vision, unsere Gesetze unter dem Aspekt einer gleichberechtigten Partnerschaft durchzuarbeiten und zu reformieren. Es geht um eine Veränderung des Leitbildes. Denn das wird in Gesetzen festgeschrieben.

Die Eignung und die Quote

Diese Diskussion ist ein Dauerbrenner. Wer definiert "Eignung"? Was nützt die Quote, wenn keine Frau da ist, bzw. keine Frau geeignet ist?
Nun hat zum Glück die EU endlich Gleichberechtigungsetze gutgeheißen.
Doch was nützt es? Nach wie vor wird die Meßlatte von Tauglichkeit in Beruf, Politik und Führungspositionen von den jeweils Machthabenden festgelegt. U<nd das sind immer noch mehrheitlich die Männer.
Die Quote bzw. die Frauenförderpläne müssen sein, auch, wenn sie manchmal nur die unentwegten - oftmals mit lächelnden Unterton - Erinnerung an die wirkliche Gleichstellung sind.
Doch Quote heißt vor allem, die Frauen dürfen sich nicht in feministischen Spielweisen entpolitisieren. Quote heißt, Frauen werden gebraucht und die Quotenregelungen ermöglichen den Einstieg.
Unsere vom Kreisfrauenbüro des Landkreises Geißen vor Jahren erstellte Studien "Frauen in der Kommunalpolitik" hat jedoch ergeben, daß die Quote oder das Quorum nichts nützen, wenn die Strukturen nicht auch frauen- und familienfreundlicher gestaltet werden. Wenn nicht die alten Hierarchie und Kommunikationsregeln verändern.
Doch der Backlash läuft - von beiden Geschlechtern.
Es ist eine Flucht ins Individuelle, ins Private zu beobachten. Man fühlt sich wohl in kleinen, freundlichen Nischen und übersieht, daß Veränderungen erstritten werden müssen. "Das Private ist Politisch" ein Kernsatz der 68er.

Und damit komme ich zum letzten Punkt:

Die Utopie und die Veränderungen

Die Zeit für Veränderungen war noch nie so günstig wie jetzt. Was vor Jahren eine Utopie war - könnte jetzt machbar werden. Siehe das Buch von Esther Vilar "Die Fünf-Stunden-Gesellschaft".
Ich gehe weiter und sage, die bisher eingewurzelten Strukturen sind angeschlagen und angezählt es ist eine gute Zeit für die Umsetzung von Visionen.
Wir müssen heraus aus den feministischen Diskussionszirkeln und den durchaus schon zugebilligten frauenpolitischen Handlungsfeldern hinein in die wissenschaftlichen Prozesse von Ökonomie, Justiz, Medizin usw. und die Handlungsmöglichkeiten von Politik,.
In diesen Bereichen finden Veränderungen statt. Müssen stattfinden, da sich unser System in einem einschneidenden Veränderungsprozeß befindet, der neue Weg beschreiten muß.
Es ist nicht nur eine Vision, wenn ich meine, daß die Schaffung einer "Menschengesellschaft" eine der wichtigsten Aufgabe des nächsten Jahrhunderts sein wird.
Eine gemeinsame Aufgabe von Frauen und Männern im Sinne der Idee des Kommunitarismus, der Veränderungen durch intensiven Dialog als Chance definiert...
Ich schließe mit einem Zitat aus einem jüngst veröffentlichten Aufsatz von Frau Rita Süssmuth zu dem Thema "Aufbruch aus der Frauennische".

"Was wir brauchen, sind gesamtgesellschaftliche Entwürfe, die beide Geschlechter miteinbeziehen … Frauenpolitik im ausgehenden 20.Jahrundet ist längst keine Politik mehr für Randgruppen oder Minderheiten und darf erst recht nicht in Nischen ihren festen Platz finden. Die Rechte von Frauen, das Miteinander der Geschlechter sind Grundlage für den Zusammenhalt und die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft und deren Ausgestaltung ist damit eine ganzheitliche, gesamtgesellschaftliche Aufgabe."


Elisabeth Faber: Visionen einer „Menschengesellschaft". Impulsreferat aus weiblicher Sicht – URL: http://www.die-frankfurt.de/esprid/dokumente/doc-2000/faber00_01.htm
Dokument aus dem Internet-Service des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung e. V. – http://www.die-frankfurt.de/esprid