Angela Venth die_logo1a.gif (1181 Byte) November 19970


Vortrag auf der Tagung "Eine Zukunft für Frauen und Männer", 12.-14. November 1997. Vollständige Dokumentation der Tagung

Alltägliches: Potentiale des Privaten für eine andere Öffentlichkeit

Jenseits offizieller Gleichstellungsregelungen teilt unsere Kultur nach wie vor den Geschlechtern unterschiedliche Geltungsräume zu: den Frauen das Private, den Männern das Öffentliche. Beide Sphären sind nicht gleichrangig, sondern von gesellschaftlicher bzw. politischer Bedeutung ist das, was öffentlich vor sich geht. Private Angelegenheiten erscheinen demgegenüber zweitrangig und minderwertig, entsprechend sieht das Handeln in öffentlichen Kontexten auch aus: Es wirkt abstrakt, besser gesagt, es abstrahiert von dem, was alltäglich für das Leben wichtig ist, und es abstrahiert insbesondere auch von den Frauen und ihren Anliegen. „Die neue Frauenbewegung hat u.a. den traditionellen Politikbegriff kritisiert, da er die Arbeit und das Leben von Frauen nur unzureichend erfaßt. Herkömmlich werde unter Politik bloß das verstanden, was in der Öffentlichkeit seinen ihm zugewiesenen Platz habe. Ein solches Verständnis setze die Trennung und unterschiedliche Bewertung der Bereiche Öffentlichkeit und Privatheit weiter fort." (Meyer 1992, S. 8)

Im Bildungsbereich werden Rollenbilder, Vorbilder, Weltbilder zum Thema. Die Politische Bildung erscheint besonders geeignet dafür, das scheinbar Selbstverständliche in Frage zu stellen. Umkehrschlüsse sind nicht nur erlaubt, sondern erwünscht. In diesem Sinne kann das Private, können die täglichen Anliegen und Möglichkeiten dazu veranlassen, Phantasien für eine zukunftsfähige Öffentlichkeit zu entwickeln. Zu zeichnen wäre ein Bild von Öffentlichkeit, in das nachweisbar private Lebensbelange eingehen und das als Handlungsraum für beide Geschlechter erkennbar wird.

Zur Trennung von privaten und öffentlichen Fragen

Die Kluft zwischen Öffentlichkeit und Privatheit ist nicht lediglich auf zunehmend verschiedenartige und vereinzelte individuelle Lebensformen zurückzuführen. Als interessengeleitetes und aktiv betriebenes gesellschaftliches Konstrukt läßt sie sich letztlich nur verstehen, wenn die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern und die Gegenbilder in den Rollen von Frauen und Männern zur Aufklärung herangezogen werden.

Die Konstruktionsgeschichte des „Wesens" von zwei Geschlechtern geht bis ins 19. Jahrhundert zurück. Aus der jeweiligen Rollencharakteristik wurden soziale Zuständigkeits- bzw. Wirkungsbereiche abgeleitet: für die schwachen, emotional bestimmten Frauen die Häuslichkeit, für die durchsetzungsstarken, objektiv denkenden und handelnden Männer der öffentlich relevante berufliche und politische Bereich. Die scharf getrennt gehaltenen Geschlechtermerkmale ergänzen einander. Gefühle werden typischerweise von Männern verdrängt, aber bei Frauen gesucht, ihnen gewissermaßen qua Geschlecht abverlangt. Mädchen und Frauen wiederum werden im Sozialisationsprozeß ihr Mangel an Rationalität und Abstraktionsfähigkeit vermittelt, so daß in ihnen der Eindruck wächst, hierin qua Geschlecht nicht kompetent zu sein und gegebenenfalls von männlichen Vorbildern lernen zu können. Die Muster für beide Geschlechter sind komplementär zueinander entworfen, werden aber nicht mit gleichem Maß gemessen. Männliche Eigenschaften und ihr Wirkungsfeld, die Öffentlichkeit, sind kulturell hoch bewertet, die „Tugenden" der Frauen und ihr Anwendungsbereich, das Private, sind zwar existenznotwendig für beide Geschlechter, werden aber als minderwertig angesehen. In diesem Wechselspiel der Geschlechter wirkt eine hierarchische Ordnung, die einem Geschlecht Herrschaft und Macht über das andere einräumt.

Die politische Bewegung von Frauen

Vorgegebene Rollendefinitionen wurden und werden von Frauen und Männern mehr oder weniger verinnerlicht. Sie kommen alltäglich zum Ausdruck, sind aber in Lernsituationen – zum Beispiel in Veranstaltungen der Politischen Bildung – besonders deutlich zu erkennen: „Kleingruppen werden deshalb bevorzugt, weil – eher als in der großen Gruppe – mit schöner Regelmäßigkeit sichtbar gemacht werden kann, wie Frauen in der Gruppe sachorientiert zuarbeiten, Männer aber Dominanzstreben und Überwältigungsverhalten entwickeln, weshalb Frauen sich dann vollständig zurückziehen." (Kutz-Bauer 1992, S. 30)

Ist das Zusammenspiel von Macht und Ohnmacht zwischen den Geschlechtern gerade auch im Lern- und Kommunikationsverhalten einmal durchschaut, wächst ein Engagement von Frauen für Frauen, das „schwache" Geschlecht bei der Selbstbehauptung in „männlichen Domänen", im Beruf, in der Politik, zu unterstützen. Das ist auch und besonders im Bildungsbereich mit einer Fülle von fördernden Angeboten der Fall, findet sich aber ebenso in vielen anderen gesellschaftlichen Feldern wie zum Beispiel der gewerkschaftlichen Arbeit. Vertreterinnen der Frauenbildung verstehen ihre Anliegen als politische und setzen in diesem Interesse spezielle Lernmöglichkeiten für Frauen stets von neuem durch. Von Entscheidungsträgern wird Frauen dieses Recht mittlerweile – mit größerer oder geringerer innerer Überzeugung – auch zugestanden, die Frauenbildung bzw. separate Veranstaltungen für Frauen sind heute akzeptiert.

Defizite frauenfördernder Aktivitäten

Analysiert man das Spektrum der Angebote für Frauen, so kann sich der Gedanke aufdrängen, daß trotz frauenfreundlicher Absichten tradierte Geschlechterschablonen letztlich nicht entlarvt und dekonstruiert werden und Frauen in selbst aufgestellte Fallen tappen. Das ist potentiell dann der Fall, wenn das Vorurteil, Frauen seien – gemessen am männlichen Maß – ungenügend oder unzureichend, mit vollzogen wird. Viele frauenspezifischen Lernangebote gehen noch immer von Defiziten aus: dem Mangel an Selbstbewußtsein, Verhaltenssicherheit, Sprachgewandtheit usw., der behoben werden soll. Das heißt, es wird nicht etwa das offizielle Sprechen und Handeln männlicher Vertreter kritisch betrachtet, sondern es wird unhinterfragt zur – scheinbar geschlechtsneutralen – Norm erhoben, an der sich Frauen messen lassen müssen und der gegenüber sie latent oder explizit versagen.

Ein qualitativ neuer Zugang könnte die arbeitsteiligen Grenzen zwischen Öffentlichkeit und Privatheit nicht als gegeben hinnehmen oder aber den Bezug zwischen beiden anders verstehen und definieren. Dann wird sich die Aufmerksamkeit nicht allein auf Frauen richten, sondern ebenso sind Männer herauszufordern. Feministinnen haben solche Forderungen bereits klar formuliert: „Das einzige System, das sowohl soziale Sicherheit als auch die Integration von Frauen gewährleistet, ist eins, in dem sich die Männer verändern. Es geht nicht darum, Frauen zu Männern zu machen. Im Gegenteil. Der flexible Lebensstil von Frauen zwischen Erwerbs- und Familienarbeit wird zur Norm werden müssen, wenn wir soziale Sicherheit mit Chancengleichheit verbinden wollen." (Fraser 1998) Die Integration einer solchen Geschlechterperspektive anstelle der Isolation feministischer Ansätze und Arbeiten ist weder an unseren Hochschulen und in der Theoriebildung selbstverständlich, noch findet sie im Bildungsbereich statt. Dadurch wird die Erkenntnis der politischen Funktion, die das Zusammenspiel der Geschlechterbilder erfüllt, erschwert oder gar bewußt verhindert.

Der Alltag als Ausgangspunkt für politische Phantasien

Ein Sichtwechsel, der die Grenze zwischen den geschlechtsspezifischen Hemisphären durchdringt und zu anderen Lebenspraxen verhilft, ist nicht selbstverständlich; er ist nicht geübt und kann nur Schritt für Schritt in lernenden Probierbewegungen und im Dialog zwischen den Geschlechtern vor sich gehen. Voraussetzung ist, daß sich Männer ihrer „Alltagsvergessenheit" bewußt werden und die „weichen", alltäglichen Seiten ihrer Existenz achten lernen. Auch die nahezu „managermäßigen Kompetenzen", die Frauen als Pendlerinnen zwischen Öffentlichkeit und Privatheit und bei der Alltagsbewältigung längst entwickelt haben, müssen dabei ins Licht gerückt werden: „Frauen sind Expertinnen des Alltags, ohne daß ihnen dies in irgendeiner Weise gesellschaftlich honoriert wird." (Jurczyk 1995, S. 52) Das heißt, Männer können diesmal vom Kompetenzvorsprung der Frauen sehr konkret lernen. Als Grenzgängerinnen sind Frauen zum Beispiel ständig mit der Tatsache konfrontiert, daß Entscheidungen auf politischer Ebene die wechselseitige Verwobenheit verschiedenartiger Alltagsbelastungen ignorieren bzw. darüber hinweggehen. Für sich selbst und privat können sie durchaus lebensfreundlichere Handlungschancen erkennen, werden bei der Lösung von Handlungsproblemen aber durch alltagsfeindliche öffentliche Strukturen und Bedingungen gehindert (vgl. Venth 1996).

Der Alltag ist erst einmal zum Vorschein zu bringen. In Lernkontexten erschließt er sich, wenn Lebenssituationen in ihrem ganzen Facettenreichtum dargestellt werden und der Ablauf, der Rhythmus des einzelnen Tages sichtbar wird. Dann kann sich beispielsweise zeigen, mit welch ambivalenten Anforderungen Personen Tag für Tag leben lernen müssen, welche Hilfen sie dafür nutzen können oder wo sie mit Bewältigungsproblemen stets von neuem allein gelassen werden, weil die Komplexität ihres Alltags unerkannt bleibt: Private Bezugspersonen kennen einen Ausschnitt, KollegInnen, Vorgesetze einen anderen. Die Frage, ob nicht gerade Frauen spezielle sozial ausgerichtete Fähigkeiten ausgebildet haben, die bei beruflichen oder politischen Belangen höchst effizient wirken können, stellt sich auf diese Weise erst gar nicht. Zu ihren alltäglich entwickelten Qualifikationen gehört es unter anderem, sich Widerständen stellen und Widersprüche ausbalancieren zu können, sich mit anderen verständigen zu können statt anzuordnen, Mitgefühl und Fürsorge mit Mut und Risikobereitschaft zu verbinden, statt leerlaufender Hierarchien und technokratischer Führungsstile teamgebundene Arbeitsformen zu praktizieren. Im Grunde haben Frauen damit Qualitäten vorzuweisen, die heutige Modelle der Organisationsentwicklung vor allem Beschäftigten in höheren Positionen abverlangen.

Letztlich resultieren aus solchen Handlungsansätzen, wie sie von Frauen praktiziert werden, politische Forderungen für eine andere Öffentlichkeit:

Literatur

Nancy Fraser: „Es geht nicht darum, Frauen zu Männern zu machen", in: Frankfurter Rundschau vom 9.2.1998

Karin Jurczyk: Die Arbeit des Alltags – Unterschiedliche Anforderungen in der alltäglichen Lebensführung von Frauen und Männern, in: Stiftung Verbraucherinstitut/Deutsches Institut für Erwachsenenbildung (Hrsg.): Focus Alltag – Neue Bildungsperspektiven für Frauen, Frankfurt/Main 1996

Helga Kutz-Bauer: Was heißt frauenspezifisches Lernen und Handeln? In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Juni 1992, S. 30

Birgit Meyer: Die „unpolitische" Frau – Politische Partizipation von Frauen oder Haben Frauen ein anderes Verständnis von Politik? In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Juni 1992, S. 8

Angela Venth: Der Blick auf den FrauenAlltag als Perspektive für die Erwachsenenbildung, in: Hauswirtschaftliche Bildung, Heft 1, Februar 1996, S. 25–27


Angela Venth: Alltägliches: Potentiale des Privaten für eine andere Öffentlichkeit – URL: http://www.die-frankfurt.de/esprid/dokumente/doc-2000/venth00_01.htm
Dokument aus dem Internet-Service des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung e. V. – http://www.die-frankfurt.de/esprid