Stand - Entwicklung - Tendenzen
In unserem Informations- und
Kommunikationszeitalter sind vielfältige und komplexe Fähigkeiten und Fertigkeiten
gefordert, um in der derzeitigen Gesellschaft zu bestehen. Dazu zählen
Leistungsfähigkeit, Wissen, Flexibilität und Anpassungsbereitschaft - und zwar zunehmend
in allen Bereichen. Auch der Bereich Alphabetisierung/Grundbildung ist davon berührt.
Heutzutage wird ein "gewisses Maß an Grundqualifikationen" vorausgesetzt.
Es besteht jedoch kein generelles Einverständnis darüber, was Grundbildung
ausmacht und was sie beinhaltet. Es ist vielmehr so, daß von verschiedenen
gesellschaftlichen Gruppen Anforderungen und Erwartungen formuliert werden, denen die
Menschen nachzukommen haben, wenn sie den Anschluß an die Arbeitswelt und die
Gesellschaft nicht verlieren wollen. Die Anforderungen steigen in allen Bereichen - auch
in den sogenannten einfachen Berufen. Da sich die Grenzen zwischen den
Begrifflichkeitenzunehmend verwischen und auch bei der Bezeichnung bzw. Zuordnung der
Zielgruppen keine Eindeutigkeit besteht, ist zu empfehlen, unter Einbeziehung aller
Beteiligten eine Begriffsklärung herbeizuführen.
Zu den Begrifflichkeiten
Die Bundesrepublik Deutschland ist als
Industrieland mit einem hoch entwickelten und hoch differenzierten Bildungssystem mit dem
Problem des funktionalen Analphabetismus konfrontiert: Es gibt Menschen in unserem Land,
die trotz Schulbesuchs nicht oder nur unzureichend lesen und schreiben gelernt haben. Seit
Beginn der 80er Jahre gibt es die Alphabetisierung/Grundbildung als Praxisfeld der
Erwachsenenbildung. Anfangs schien es sowohl für Bildungspolitiker als auch für die
Öffentlichkeit undenkbar, daß dieses Phänomen existierte. Auch heute noch scheint
Analphabetismus vielfach ein Tabuthema zu sein. Die Betroffenen verbergen aus Angst und
Scham ihre Problematik, da sie Diskriminierung fürchten. Von daher bilden die
Öffentlichkeitsarbeit, das Informieren über die Thematik sowie das Sensibilisieren für
die besondere Problem- und Bedürfnislage der Betroffenen wesentliche und dauerhafte
Bestandteile der Alphabetisierungsarbeit.
Nach einer UNESCO-Definition von 1979 ist
ein funktionaler Analphabet eine Person, die sich an all den zielgerichteten Aktivitäten
ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Bezugsgruppe, bei denen Lesen, Schreiben und Rechnen
erforderlich sind, nicht beteiligen kann. Eine solche Person kann diese Kulturtechniken
weder für ihre eigene Entwicklung noch für die ihrer Gesellschaft nutzen. In der
Definition von Drecoll (1981) wird deutlicher betont, welche Bedeutung gesellschaftlichen
Normen für die Schriftsprachverwendung zukommt:
"Funktionaler Analphabetismus bedeutet
die Unterschreitung der gesellschaftlichen Mindestanforderung an die Beherrschung der
Schriftsprache, deren Erfüllung Voraussetzung ist zur sozial streng kontrollierten
Teilnahme an schriftlicher Kommunikation in allen Arbeits- und
Lebensbereichen."Funktionale Analphabeten verfügen nicht über ausreichende Lese-,
Schreib- oder Rechenkompetenzen, um in unserer Gesellschaft zu bestehen bzw. zu
funktionieren. Normabweichungen werden extrem negativ sanktioniert; nur wer richtig
schreiben kann, wird akzeptiert. Die menschlichen Einzelschicksale der Betroffenen, ihre
Nöte und ihre Probleme, werden zumeist nicht wahrgenommen. Analphabetismus geht oftmals
einher mit sozialer Isolation und sozialer Diskriminierung.
Um ihren Alltag zu meistern, entwickeln die
Betroffenen vielfältige Bewältigungsstrategien, die zum Teil hohe Kompetenzen
abverlangen. Interessant ist, daß sich die Betroffenen ihrer Fähigkeiten selbst nicht
bewußt sind.
Somit kommt der Anerkennung und Förderung
dieser Ressourcen ein besonderer Stellenwert bei der Überwindung der Schwierigkeiten zu.
Seit Mitte der 90er Jahre ist eine interessante
Entwicklung zu verzeichnen. Es sind Berichte und Studien erschienen, die sich mit dem
Zusammenhang von "Alphabetisierung und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit"
befassen. So wird in einem OECD/CERI-Bericht zum Beispiel empfohlen, in den
hochentwickelten Ländern "breite Koalitionen" für eine Ausweitung von
Alphabetisierungsprogrammen zu bilden und dabei die Politik, die Wirtschaft und auch die
Gewerkschaften einzubeziehen. Eine derartige Kooperation steht in der Bundesrepublik
Deutschland bislang noch aus. Jedoch sind erste Schritte zu verzeichnen. Das DIE-Projekt
"Netzwerk Grundqualifikationen" hat die vorhandenen Strukturen genutzt, die
Kontakte systematisiert und somit die Vernetzung vorangetrieben. Es wurden Runde Tische
initiiert, um einen Erfahrungsaustausch in Gang zu setzen und Maßnahmen zu entwickeln.
Inzwischen ist dieses Vorgehen auch in einigen Bundesländern - z.B. in Berlin -
übernommen worden. Das neue DIE-Projekt "Entwicklung konzeptioneller Elemente einer
berufsorientierten Alphabetisierung/Grundbildung sowie Entwicklung begleitender
Fortbildungsmodule" wird die Vernetzungsarbeit weiterführen. Für lebhafte
Diskussionen um das "Bildungsniveau" sorgten die Ergebnisse einer ersten
internationalen Untersuchung von Grundqualifikationen Erwachsener, an der insgesamt sieben
Industrieländer beteiligt waren. Der Titel der Studie lautet:
"Grundqualifikationen, Wirtschaft und Gesellschaft", herausgegeben von der OECD
und Statistics Canada(1995 - engl. Fassung, 1998 - dt. Fassung). Der Begriff
"Grundqualifikationen" wird definiert als "die Verwendung von gedruckten
und geschriebenen Informationen, um in der Gesellschaft zurechtzukommen, eigene Ziele zu
erreichen und eigenes Wissen sowie die individuellen Möglichkeiten zu entwickeln."
Diese Studie - so interessant sie insgesamt ist - ist keine Untersuchung zum funktionalen
Analphabetismus; die Ergebnisse lassen allenfalls Rückschlüsse zu. Allerdings zeigt sie
sehr deutlich die Komplexität der schriftsprachlichen Anforderungen einer modernen
Gesellschaft.
In der Definition wird eine große Bandbreite an
Fähigkeiten zur Informationsverarbeitung zusammengefaßt. Zur Ermittlung der Daten hat
man drei Bereiche gebildet:
1. Umgang mit Texten: Informationen aus Texten - wie z.B.
Zeitungsartikel, Verbraucherhinweise - verstehen und nutzen bzw. anwenden können.
2. Umgang mit schematischen Darstellungen: in
Darstellungen - wie z.B. Stellenanzeigen, Gehaltsabrechnungen, Fahrpläne, Tabellen,
Karten und Graphiken - enthaltene Informationen verstehen und nutzen können. 3. Umgang
mit Zahlen: grundlegende Rechenoperationen - z.B. beim Umgang mit Rechnungen, Bankbelegen
oder Zinsberechnungen - anwenden können. Man hat für die Auswertung jede Aufgabenart in
fünf Niveaustufen (levels) unterteilt; dabei ist das Niveau 1 das niedrigste und das
Niveau 5 das höchste. Bei dem Bereich "Umgang mit Texten" ergibt sich für
Deutschland, daß 14,4 % der getesteten Personen dem Niveau 1 zuzuordnen sind. Wieviel
Prozent nicht einmal den Anforderungen der Stufe1 nachkommen konnten, ist damit
nicht festgestellt. Untersucht worden ist also die Fähigkeit zur
Informationsverarbeitung, die die Fähigkeit des Lesens bereits voraussetzt, nicht die
Lesefähigkeit selbst. Das Schreiben bzw. die Schreibkompetenz ist nicht getestet worden.
Spannungsfeld Grundbildung - "Fähigkeiten zum
Überleben im 21. Jahrhundert"
Aufgrund der gesellschaftlichen Umbrüche und
einhergehend mit den Veränderungen unserer Lebens- und Arbeitswelt verändert sich auch
das Konzept der Grundbildung bzw. der Grundqualifikationen: Es geht nicht mehr um eine
bestimmte Ansammlung von Fertigkeiten, sondern vor allem um dynamische und flexible
Fähigkeiten. Gerade zur Entwicklung dieser Flexibilität ist schriftsprachliche Kompetenz
unabdingbar. Lesen, Schreiben, Rechnen sind keine Fähigkeiten "an sich",
sondern werden zunehmend zur unverzichtbaren Voraussetzung für den Erwerb weiterer
Qualifikationen.
Die Dynamisierung des Konzepts und die Betonung der
individuellen Anteile (Eigenaktivität, persönliche Fähigkeiten) bringen die Thematik
sehr viel deutlicher in ein gesellschaftliches Spannungsfeld, als dies bisher der Fall
war.1
Die folgende Grafik, ein Mind-map, gibt eine individuelle
Sichtweise von Grundqualifikationen wieder; sie veranschaulicht die Vielfalt und
Komplexität der Thematik.
1 Im Rahmen des DIE-Projektes "Netzwerk
Grundbildung" ist eine Publikation mit dem Titel "Spannungsfeld
Grundbildung" entstanden, die in Kürze in der DIE-Reihe "Perspektive
Praxis" erscheinen wird.
(Anmerkung: Das Mind-map ist im Rahmen eines
Fortbildungsseminares des DIE-Projektes "Netzwerk Grundqualifikationen"
entstanden.)
Anforderungsprofile der Wirtschaft
Um zu verdeutlichen, welche grundlegenden Fertigkeiten
und Fähigkeiten seitens der Wirtschaft generell erwartet bzw. vorausgesetzt werden, hier
nun exemplarisch ein Auszug aus den "Empfehlungen für Schulen und Betriebe" des
In-stituts der deutschen Wirtschaft, Köln:
. Konzentration auf die Vermittlung von grundlegenden
Kulturtechniken und von Grundlagenwissen in zentralen Fächern wie Deutsch und
Rechnen/Mathematik (Rechtschreibung, Lesen, Erfassen von Texten, sprachlicher/
schriftlicher Ausdruck, Grundrechenarten), je nach Schulform in unterschiedlicher
Intensität.
- Stärkung der Erziehungsfunktion der Schule; besonders im
Hinblick auf elementare Eigenschaften und Verhaltensweisen, die unabdingbare
Voraussetzungen für den Eintritt in das Berufsleben und für dessen Verlauf sind:
Pünktlichkeit, Fleiß, positive Einstellung zur Arbeit, Verantwortungsbewußtsein oder
Leistungsorientierung.
- Entwicklung und vermehrter Einsatz von Auswahlverfahren,
die über einen längeren Zeitraum - weitgehend unabhängig von wirtschaftlichen oder
technischen Entwicklungen - Bestand haben. Diese Verfahren sollten nicht nur
(Grund-)Kenntnisse und Kulturtechniken feststellen, sondern auch der zunehmenden Bedeutung
von überfachlichen Qualifikationen, den Schlüsselqualifikationen, gerecht werden.
Bildungskluft und Tendenzen des Arbeitsmarktes
(Zahlen/Daten/Fakten)
Die Kluft zwischen Qualifikationsanforderungen und
Kompetenzprofilen wird immer größer. Sogenannte Bildungsbenachteiligte und
Geringqualifizierte geraten mehr und mehr ins Abseits - und zwar dauerhaft. Schulabgänger
- Jugendliche ohne Schulabschluß. Jährlich verlassen etwa 80.000 Jugendliche die Schule
ohne einenHauptschulabschluß (1997: 80.500). Es ist davon auszugehen, daß diemeisten
dieser Jugendlichen gravierende Mängel im Lesen, Schreiben und Rechnen aufweisen. Dies
bestätigt u.a. eine Studie des Instituts derdeutschen Wirtschaft zu wirtschaftlichen
Qualifikationsanforderungen und schulischen Qualifikationsprofilen.
AusländerInnen/MigrantInnen
In der Bundesrepublik Deutschland, die faktisch zu einem
Einwanderungsland geworden ist, leben AusländerInnen und MigrantInnen, die in
unterschiedlichem Ausmaß mit der deutschen Sprache Probleme haben. Aufgrund der
unzureichenden oder fehlenden (Schriftsprach-)Kompetenz reduzieren sich ihre
Partizipationschancen in der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt; es ergeben sich
gesellschaftliche und soziale Probleme. Die Bildungsschere vergrößert sich: Jugendliche
ausländischer Herkunft sind unter den Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz
überrepräsentiert - der Ausbildungsanteil im dualen System ist rückläufig, die
Abbrecherquote in Schule und Ausbildung ist hoch. Auch die Jugendlichen der 2. und 3.
Generation haben noch beträchtliche Probleme.
Ausbildungsabbrecher
Im Jahr 1996 wurde von den neu abgeschlossenen
Ausbildungsverträgen nahezu ein Viertel (22,6 %) vorzeitig gelöst. Dabei erfolgten rund
46 % der Abbrüche bereits in der Probezeit (3 Monate), ein weiteres Drittel im Anschluß.
Im ersten Ausbildungsjahr sind also rund 80 % der
Abbrüche zu verzeichnen. Eine Pilotstudie zur "Früherkennung potentieller
Ausbildungsabbrecher" der Berufsberatung der Bundesanstalt für Arbeit (BA) hat
ermittelt, daß bei der Vergleichsgruppe der Nicht-Abbrecher die Auszubildenden mit
Vertrag zumindest den Hauptschul- und 52,4 % den Realschulabschluß haben, während bei
den Abbrechern 15,5 % keinen Hauptschulabschluß haben. Weiterhin weisen sie
"Besonderheiten" im schulischen und nachschulischen Ausbildungsverlauf auf - wie
vermehrte Klassenwiederholungen, fehlende Schulabschlüsse. Auffällig ist ferner, daß
zuvor ebenfalls schon Ausbildungen abgebrochen worden sind. Folgerungen dieser
Untersuchung sind u.a., eine nachgehende Betreuung von Ratsuchenden nach Einmündung in
eine Ausbildung zu initiieren sowie umfassende Angebote (quantitativ) an
Ausbildungsgängen für schwächere Auszubildende zu entwickeln (vgl. ibv 16/1999).
Prüfungsversager
Die Quote der Versager bei Abschlußprüfungen in der
beruflichen Ausbildung ist in den letzten Jahren angestiegen und liegt z.Zt. bei etwa 15
%. Um "Prüfungsangst" zu reduzieren und damit Denkblockaden und Leistungsabfall
entgegenzuwirken, werden Maßnahmen zum Abbau von Prüfungsangst empfohlen, wozu
z.B. Vorgespräche und Informationen über den Verlauf zählen. Darüber hinaus gibt es
Forderungen, inhaltliche und formale Prüfungsmodifikationen vorzunehmen, um spezifische
Lernprobleme der Auszubildenden zu berücksichtigen.
Arbeitsplätze für Ungelernte
In den letzten Jahren hat die Zahl der Arbeitsplätze
für Un-und Angelernte erheblich abgenommen. Bis zum Jahr 2010 ist laut Aussagen von
Experten mit einem weiteren Abbau von ca. 50 % aller Arbeitsplätze für Personen ohne
formalen Berufsabschluß zu rechnen.
Um diese negativen Entwicklungen zu unterbrechen, ist es
dringend geboten, noch intensiver als bisher entwicklungsorientierte Arbeitsplätze für
Geringqualifizierte zu schaffen und Möglichkeiten zu erproben, sie produktiv in
qualifizierte Arbeitsteams zu integrieren.
Dabei sollte es zukünftig auch möglich sein, nicht nur
formale, sondern auch nicht-formale Qualifikationen zu berücksichtigen, um die
vorhandenen Potentiale nutzen zu können.
Zweite Chance - lebenslanges Lernen
In den letzten Jahren werden das Konzept des
lebenslan-gen bzw. lebensbegleitenden Lernens sowie die Bedeutung der "zweiten
Chance" diskutiert. Diese Entwicklung hat für die Bereiche Alphabetisierung und
Grundbildung einen be-sonderen Stellenwert. Da ein immer höheres Maß an Grund-bildung
gefordert wird, muß es zukünftig auch möglich sein, diesen Prozeß mehrmals zu
durchlaufen - in der schulischen Ausbildung, in der Erwachsenenbildung und in der
berufli-chen Bildung. Diese Forderungen sind auch in der "Hamburger Deklarati-on zum
Lernen im Erwachsenenalter" enthalten, die wäh-rend der CONFINTEA, der
UNESCO-Weltkonferenz 1997 in Hamburg, formuliert worden sind: "Grundbildung für alle
bedeutet, daß Menschen ungeachtet ihres Alters die Mög-lichkeit haben, als Einzelne oder
in der Gemeinschaft ihr Po-tential zu entfalten. Sie ist nicht nur ein Recht, sondern auch
eine Pflicht und eine Verantwortung gegenüber anderen und der Gesellschaft als Ganzer. Es
ist wichtig, daß die Anerken-nung des Rechts auf lebenslanges Lernen von Maßnahmen
flankiert wird, die die Voraussetzungen für die Ausübung dieses Rechts schaffen. Mit den
Herausforderungen des 21. Jahrhunderts können Regierungen, Organisationen oder
Institutionen allein nicht fertig werden; sie brauchen die Energie, die Phantasie und
schöpferische Kraft der Men-schen und ihre umfassende, uneingeschränkte und
tatkräf-tige Mitwirkung in allen Lebensbereichen. Lernen im Jugend- und Erwachsenenalter
ist eines der wichtigsten Mittel,um Kreativität und Produktivität im weitesten Sinne
erheblich zu verstärken, und dies wiederum ist unverzichtbar, wenn wir die komplexen,
miteinander in Wechselbeziehung stehenden Probleme einer Welt lösen wollen, die einem
immer rascheren Wandel, zunehmender Komplexität und einem wachsenden Risiko ausgesetzt
ist." Hier wird explizit auf die Bedeutung des Lernens für das Individuum und auf
Entfaltung der Persönlichkeit eingegangen. Dies ist deswegen hervorzuheben, weil aktuell
die Ori- entierung an beruflichen Qualifikationen und der Faktor Verwertungswissen Vorrang
haben.
Ausblick Seit den Anfängen der Alphabetisierung in der 80er Jahren ist das Thema in der
Diskussion. Im Bereich der Erwachsenenbildung sind grundlegende Konzepte entwickelt
worden, und es gibt differenzierte Angebote für Erwachsene. Aufgrund des
gesellschaftlichen Wandels und der steigenden Qualifikationsanforderungen erfährt die
Ausrichtung auf Grundbildung und Grundqualifikationen eine neue Bedeutung. Zukünftig wird
es zunehmend wichtig sein, für bildungsbenachteiligte und geringqualifizierte Personen in
der allgemeinen und auch in der beruflichen Bildung Angebote im Sinne der zweiten Chance
zu ermöglichen. Um das zu erreichen, sind Netzwerke und Verbünde auf unterschiedlichen
Ebenen notwendig.
Neue Projekte am DIE
Das DIE engagiert sich seit Anfang der 80er Jahre für
Alphabetisierung und Grundbildung. In den innovativen DIE-Projekten sind Grundlagen
geschaffen und Konzepte entwickelt worden, die den Bereich entscheidend geprägt und
vorangebracht haben.
Im Rahmen des SOKRATES-Programms der Europäischen
Kommission führt das DIE vom 01.09.1998 bis (voraussichtlich) 31.08.2000 das Projekt
"Entwickeln eines Trainings-moduls zur Qualifizierung des Ausbildungspersonals von
Personen mit geringer Grundbildung" durch. In Kooperation mit Institutionen aus
Großbritannien, Italien und Deutschland wird ein Trainingsmodul für lehrendes und
ausbildendes Personal in der beruflichen Fortbildung/Umschulung entwickelt und auf einer
internationalen Konferenz MultiplikatorInnen vorgestellt. Die Ergebnisse des Projekts
werden dokumentiert und publiziert. Europäische Kooperanten sind:
- Unione Nazionale per la Lotta contro
L'Analfabetismo(UNLA), Rom, Italien
- Centre for Employment Initiatives (CEI).
Consultancy,research an participation, Eccles/Manchester, Großbritannien.
Am
01.07.1999 beginnt am DIE das Projekt "Entwicklung konzeptioneller Elemente einer
berufsorientierten Alphabetisierung/Grundbildung sowie Entwicklung begleitender
Fortbildungsmodule", gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF)
In unserer Informations- und Kommunikationsgesellschaft
wird ein neuer Typus von Beschäftigten gefordert. Gefragt ist "berufliche
Handlungskompetenz". Dem Erwerb der für Leben und Arbeiten notwendigen
Schlüsselqualifikationen muß bei einer großen Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern der
Erwerb von Grundqualifikationen vorausgehen. Imu¸mreich der Berufsorientierung und der
beruflichen Bildung ist es dringend geboten, sich über konzeptionelle Elemente einer
berufsorientierten Alphabetisierung und Grundbildung zu verständigen sowie Arbeitshilfen
und Fortbildungen für das Personal zu entwickeln.
Bildungsarbeit mit Benachteiligten braucht eine
regelmäßige und gute Öffentlichkeitsarbeit! Wie soll jemand, der nicht lesen und
schreiben kann, erfahren, daß es womöglich ganz in seiner Nähe ein Kursangebot gibt,
das genau das richtige für ihn ist - wenn es nicht veröffentlicht wird?
Wie soll jemand einem Betroffenen helfen, wenn er nicht
weiß, wie er sich verhalten soll? Die beiderseitigen Unsicherheiten sind groß.
Öffentlichkeitsarbeit muß sich des-halb an beide Seiten wenden: an diejenigen, die als
Betroffene unterstützt und informiert werden sollen, und an diejenigen, die als
MultiplikatorInnen, als Angehörige, Nachbarn oder Bekannte vermitteln können.
Öffentlichkeitsarbeit dient ebenso der "Klimaverbesserung": In einer
Gesellschaft, in der bekannt ist, daß es vielfältige Formen von Bildungsbenachteiligung
gibt, darunter auch einen nicht gerade kleinen Anteil von AnalphabetInnen, in einer
Gesellschaft, die sich dem bildungspolitischen Problem stellt und entsprechende
Bildungsangebote entwickelt, in einer Gesellschaft, in der nicht lesen und schreiben
können nicht mehr gleichgesetzt wird mit Dummheit, läßt sich leichter eingestehen:
"Ja, ich kann nicht lesen und schreiben. Ich will es lernen - sag' mir, wo!" Und
es läßt sich auf diese Bitte leichter angemessen und sachlich antworten, ohne
ungläubige oder abfällige Bemerkungen wie "Du warst wohl nie in der Schule?"
Eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit ist deshalb mehr als die - zugegebenermaßen wichtige
- Ankündigung eines aktuellen Kursangebots. Alle Medien sind geeignet, alle Wege sollten
genutzt werden. Daß man sich dennoch (oder gerade deshalb) sorgfältig überlegt, welches
Medium mit welchem Inhalt für welche Adressatengruppe geeignet ist, versteht sich im
Rahmen einer verantwortungsbewußten Öf-fentlichkeitsarbeit von selbst. In den letzten
Jahren sind vielfältige Erfahrungen gesammelt, z.T. sehr kreative und ausgefallene Ideen
ausprobiert worden, aber manchmal hat sich auch gezeigt, daß eine fehlende
Öffentlichkeitsarbeit schnell zu einem Rückgang des Angebots und der Nachfrage führen
kann. Alphabetisierung ist immer noch ein Thema, das gern von den Medien aufgenommen wird.
Um eine gute Breitenwirkung zu erzielen und möglichst viele Adressatengruppen ansprechen
zu können, kann eine "Kampagne" sinnvoll sein, bei der die unterschiedlichen
Medien eingesetzt werden. Anlaß kann der Internationale Tag der Alphabetisierung am 8.
September ebenso sein wie die Eröffnung einer Ausstellung, die Präsentation einer
Publikation, gemeinsame Aktionen mit anderen Bildungseinrichtungen oder Beratungsstellen.
Auch Stadt(teil)feste, Bildungsmärkte, Lernfeste u.ä. können Gelegenheit bieten, um auf
die Arbeit aufmerksam zu machen. Im folgenden skizzieren wir einige erprobte Wege:
Ankündigungen in Programmheften
werden in der Regel nicht von Betroffenen gelesen, haben
aber einen hohen Informationswert für alle MultiplikatorInnen - wenn ihnen das
Programmheft zur Verfügung steht! Hilfreich ist es, wenn die Angebote mit entsprechenden
Symbolen gekennzeichnet, die Texte einfach und die Angaben eindeutig sind.
Faltblätter, Informationszettel
können sich entweder direkt an Betroffene wenden oder
als Handzettel für MultiplikatorInnen gedacht sein. Auch hier ist hilfreich: Verwendung
von Symbolen, auf große Schrift und einfache Sätze achten, Hinweis auf
Beratungsmöglichkeit mit Telefonnummer deutlich hervorheben, plakative Gestaltung. Wenn
Beratung nur zu bestimmten Zeiten möglich ist, muß auch das gut ersichtlich sein.
Öffentliche Einrichtungen, Ärzte, Beratungsstellen, aber auch Büchereien sind geeignete
Orte zur Auslage.
Plakate, Postkarten, Aufkleber, Stifte mit Telefonnummer
o.ä.
können sehr öffentlichkeitswirksam sein, wenn sie gut
verbreitet und plakativ und prägnant in der Aussage sind. Am besten wirken sie im
Zusammenhang mit einer kleinen "Medienkampagne", also z.B. als in der Presse
angekündigte Aktion. Hilfreich ist der Bundesverband Alphabetisierung, der gerade die von
der Werbeagentur Grey entwickelten Materialien einsetzt.
Lokale und regionale Presse
orts Ankündigungen von Kursangeboten. Zur Erhöhung der
Aufmerksamkeit ist bei vielen JournalistInnen der "human touch" sehr beliebt:
Sie wollen - mehr oder weniger dramatisch - einen konkreten Einzelfall darstellen. Man
sollte sorgsam prüfen, welches dokumentarische Material man hierfür zur Verfügung
stellen kann.
Eine fiktive Geschichte hat den Vorteil, daß nicht eine einzelne Person in die
Öffentlichkeit gezogen wird. Es zahlt sich jedoch auf jeden Fall aus, wenn die
Zusammenarbeit mit den örtlichen Zeitungen vertrauensvoll und kooperativ gestaltet werden
kann.
Artikel in Fachzeitschriften
gibt es nach unserem Eindruck zu wenig - abgesehen von
Fachveröffentlichungen des Bundesverbandes Alphabetisierung im "Alfa-Forum,
Zeitschrift für Alphabetisierung und Grundbildung" oder von Veröffentlichungen des
Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (DIE). Verstärkt sollten hier z. B.
Gewerkschaftszeitungen, pädagogische oder psychologische Fachpresse, Publikationen
verwandter Fachgebiete, wissenschaftliche Veröffentlichungen einbezogen werden.
Rundfunk und Fernsehen
berichten im allgemeinen nur zu besonderen Anlässen:
Ausstellungseröffnungen, Weltalphabetisierungstag, landesweite oder bundesweite Aktionen,
Äußerungen oder Stellungnahmen von prominenten Personen.
Für spezielle Sendungen über einen Alphabetisierungskurs oder einen einzelnen
Teilnehmer besteht häufig das Problem, daß die Anforderungen der JournalistInnen so
kurzfristig kommen, daß eine ausreichende Information der Betroffenen nicht mehr möglich
ist. Die TeilnehmerInnen müssen sich aber darüber im klaren sein, was eine
Veröffentlichung für sie persönlich bedeutet, und sie müssen die Möglichkeit haben,
eine Mitwirkung abzulehnen! Auf Versprechungen wie: "Das wird anonymisiert"
sollte man sich nicht einlassen. Balken, Flimmerpunkte oder Stimmverzerrer sind oft ganz
unzureichend. Ihre Wirkung auf den/die Zuschauer/in ist zudem häufig eher negativ.
Spots
Aktuell sind von der Werbeagentur Grey zwei Filmspots
"At Work" und "The letter" produziert worden. Gemeinsam mit dem
Bundesverband Alphabetisierung ist eine Sozialkampagne unter dem Titel "Schreib Dich
nicht ab. Lern lesen und schreiben!" gestartet. Für die Printmedien sind Plakate mit
verschiedenen Motiven erstellt worden. Über die Einsatzmöglichkeiten und
Ausleihbedingungen informiert der Bundesverband Alphabetisierung. Darüber hinaus sind im
Laufe der letzten Jahre einige kurze Filmbeiträge produziert worden.
INFORMATION
Bundesverband Alphabetisierung e.V.
Peter Hubertus Goebenstraße 13, 48151 Münster
Tel.: 0251/5346940, Fax: -5346941
Filme und Bücher
Einige Filme und Bücher behandeln das Thema
Analphabetismus gewissermaßen "indirekt": Es ist nicht Gegenstand, aber
gegenwärtig. Das trifft z.B. zu auf die Filme "Miss Daisy und ihr Chauffeur"
oder "Stanley and Iris" oder auf die Bücher "Der Vorleser" oder
"Urteil in Stein", die im Rahmen von Werbekampagnen für Alphabetisierung
eingesetzt werden könnten.
Ausstellungen
können aus dem Kursgeschehen entwickelt werden: zur
Darstellung von Biographien, zum Leben im Wohnort, zu selbstproduzierten Texten, Bildern
oder Fotografien usw. Es sind in den letzten Jahren Ausstellungen entstanden, die
entliehen werden können, z. B.:
- Die Welten der Wörter. Plakate zur
Alphabetisierung aus aller Welt.
Information: Sascha Wenzel, Ernst Klett Verlag,
Tel.: 0711/6672-1887, Fax: -2010
- Schöne Beine - Kluger Kopf. Was Männer und Frauen mit
Lesen und Schreiben zu tun haben. Postkartenausstellung.
Information: Marion Döbert, Volkshochschule Bielefeld,
Tel.: 0521/513589, Fax: -513431
Aktionen
Öffentliche SchreiberInnen auf Wochenmärkten,
KalligrafInnen, BänkelsängerInnen, KleinkünstlerInnen, Theater - manchmal fehlt nur die
Idee (oder auch der Mut) zu einem öffentlichkeitswirksamen Auftritt. Gerade
Volkshochschulen, die unter ihrem Dach vielfältige Fähigkeiten und Interessen
zusammenführen, finden sicherlich Möglichkeiten, das Thema Lesen- und Schreibenlernen
auch einmal ganz anders darzustellen.
Kooperationen
sind ausgesprochen hilfreich, um Kräfte zu bündeln und
ein breiteres, möglicherweise auch neues Spektrum an Interessierten anzusprechen. Gute
Erfahrungen gibt es vor allem in der Zusammenarbeit mit örtlichen Büchereien. Angefangen
von speziellen Bücherecken für ungeübte LeserInnen, Kennzeichnung von
Leicht-Lese-Literatur über die gezielte Heranführung von TeilnehmerInnen an Bücher (und
auch Videos!) in der öffentlichen Bücherei bis zur Nutzung der Räumlichkeiten für
Ausstellungen, Vorträge oder Lesungen sind zahlreiche Aktivitäten erprobt. Bei der
Durchführung von Kampagnen oder Aktionen haben sich Kooperationen ebenfalls bewährt.
Fragen und Antworten zum Thema
Analphabetismus
I. Hintergrundinformation
Analphabetismus - Versuch einer Definition
Analphabetismus ist ein weltweites Problem. Je nach
gesellschaftlichem Kontext verändern sich die Anforderungen an die schriftsprachlichen
Fähigkeiten und damit auch die Grenzen zum funktionalen Analphabetismus. Eine Definition
der UNESCO bezeichnet dementsprechend als funktionalen Analphabetismus "die
Unterschreitung der gesellschaftlichen Mindestanforderungen an die Beherrschung der
Schriftsprache, deren Erfüllung Voraussetzung ist zur - sozial streng kontrollierten -
Teilnahme an schriftlicher Kommunikation in allen Lebens- und Arbeitsbereichen".
Mitte der 70er Jahre wurde bekannt, daß trotz allgemeiner Schulpflicht auch
deutschsprachige Erwachsene von Analphabetismus betroffen sind. Als funktionale
AnalphabetInnen werden diejenigen bezeichnet,
- die weder lesen noch schreiben können,
- die mühsam sehr einfache Texte lesen, aber nicht
schreiben können,
- die relativ gut lesen können, aber erhebliche Probleme
beim Schreiben haben und deshalb Situationen vermeiden, in denen sie schreiben müssen.
Die deutschsprachigen Erwachsenen bilden den Kern des
gesellschafts- und bildungspolitischen Problems. Darüber hinaus leben in Deutschland
AusländerInnen und MigrantInnen, die in ihrer Muttersprache nicht alphabetisiert sind.
Der gegenwärtig diskutierte Begriff "unzureichende Grundbildung" umfaßt nicht
nur das schriftsprachliche System, sondern beinhaltet die Unterschreitung weiterer
gesellschaftlicher Anforderungen, z.B. im Rechnen, im Umgang mit modernen Medien, bei den
sog. Schlüsselqualifikationen usw..
Wie viele Betroffene gibt es?
Das Ausmaß des Analphabetismus ist nicht genau bekannt.
Eine Ausweitung der Definition im Sinne von "Grundbildung" wird zu einem Anstieg
der Zahl der Betroffenen führen. Wichtiger als die Diskussion darüber, ob es 500.000,
eine Million oder mehr funktionale AnalphabetInnen in Deutschland gibt, ist die
Sicherstellung eines Angebots für Erwachsene zum nachträglichen Schriftspracherwerb als
Voraussetzung für jeden weiteren Bildungserwerb. Eine ältere Schätzung der UNESCO geht
von einem Anteil von 0,75 % bis 3 % an der deutschsprachigen Erwachsenenbevölkerung aus,
die OECD-Studie von 1995 kommt zu dem Schluß, daß 14,4 % der deutschen Bevölkerungdie
unterste Fähigkeitenstufe nicht erreicht. Diese Größenordnung mag ein
bildungspolitisches Dilemma zeigen, sie führt gegenwärtig aber eher dazu, daß die
kleine Gruppe der tatsächlichen funktionalen AnalphabetInnen aus dem Blickfeld
bildungspolitischer Aktivitäten verschwindet.
Wie entsteht Analphabetismus?
Meist gibt es nicht nur eine Ursache, sondern das
Zusammentreffen unterschiedlicher Faktoren kann im ungünstigen Fall dazu führen, daß
jemand lesen und/oder schreiben nicht oder nur unzureichend lernt. Nur in den wenigsten
Fällen sind die Betroffenen nie zur Schule gegangen (Analphabeten im engen Sinne).
Häufig auftretende Gründe sind:
- Fehlzeiten in den ersten beiden Schuljahren wegen
Krankheit, Schulwechsel etc.,
- Nichtbeachtung und mangelndes Verständnis durch die
Lehrkräfte,
- häufige Wechsel der Lehrkräfte und Unterrichtsmethoden,
- ungünstige familiäre Bedingungen wie Arbeitslosigkeit,
Krankheit der Eltern etc.,
- anregungsarmes Umfeld, in dem nicht gelesen oder
geschrieben wird,
- unentdeckte und/oder nicht therapierte gesundheitliche
Störungen des Kindes.
Aus den Biographien von Betroffenen geht oft hervor, daß es irgendwann im kindlichen
Lernprozeß Gründe gab, Lesen- und Schreibenlernen als nicht wichtig anzusehen. Für
einen erfolgreichen Lernprozeß der Erwachsenen ist es sinnvoll, sie bei der Entdeckung
der Problempunkte ihrer individuellen Lerngeschichte zu unterstützen.
Was bedeutet es, nicht lesen und schreiben zu können?
AnalphabetInnen in Deutschland leben ständig in der
Angst, entdeckt zu werden. Nicht lesen und schreiben zu können gilt in unserer
leistungsorientierten Gesellschaft als Manko. Um nicht aufzufallen und diskriminiert zu
werden, entwickeln die Betroffenen Mechanismen zur Tarnung und Vermeidungsstrategien und
ziehen sich oft in die Isolation zurück.
Unsere Gesellschaft basiert auf schriftsprachlicher
Kommunikation:
Hinweis- und Verkehrsschilder, Zeitungen, Bücher, Dialogfelder in Automaten, Formulare,
der Erwerb des Führerscheins, Teilnahme an Wahlen, Computer auch an einfachen
Arbeitsplätzen ... . Die häufig geführte Klage, es werde immer weniger gelesen, bezieht
sich auf gedruckte Literatur und übersieht vollständig, daß das gesamte
gesellschaftliche Leben vom schriftsprachlichen System durchdrungen ist. Nicht lesen und
schreiben zu können bedeutet heute in unserer Gesellschaft den Ausschluß von der
Teilnahme am öffentlichen Leben.
II. Chancen und Angebot
Was weiß man über die Teilnehmenden?
Der "Durchschnittsteilnehmer" ist männlich,
Mitte 30, arbeitslos und hat die Schule nach der 7. oder 8. Klasse ohne Abschluß
verlassen. Nach einer Erhebung im Rahmen des DIE-Projektes "Entwicklung und Erprobung
von Alphabetisierungs- und Elementarbildungsangeboten" von 1994 gibt es bundesweit
ca. 350 Einrichtungen mit Alphabetisierungsangeboten, ca. 80 % davon an Volkshochschulen.
Die meisten TeilnehmerInnen sind zwischen Ende 20 und Anfang 40, 60 % von ihnen sind
Männer.
Eine Umfrage für das Institutionenverzeichnis
Alphabetisierung/ Grundbildung hat ergeben, daß im Jahr 1996 ca. 15.000 Teil-nehmende
Alphabetisierungs- und Grundbildungskurse besucht haben. Darüber hinaus sind ca. 5.200
Teilnehmende an Alphabetisierungskursen für AusländerInnen und MigrantInnen zu
verzeichnen gewesen.
Lese- und schreibunkundige Menschen sind in besonderem
Maße von Arbeitslosigkeit bedroht. Sie gehören zu den ersten, die entlassen werden, und
zu den letzten, die wieder eingestellt werden. Darüber hinaus nimmt die Zahl der
Arbeitsplätze für Un- und Angelernte ständig ab. Dennoch: Viele TeilnehmerInnen haben
Arbeit und besuchen den Kurs, weil sie ihren Arbeits-platz behalten wollen.
Warum besuchen sie einen Kurs?
Häufig genannte Gründe sind
- den Kindern in der Schule helfen zu können,
- den Arbeitsplatz nicht zu verlieren,
- den (steigenden) Anforderungen am Arbeitsplatz besser
gewachsen zu sein,
- einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz finden zu wollen,
- endlich Zeitungen/Zeitschriften/Bücher lesen zu können,
- nicht mehr auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein,
- das Nichtkönnen nicht länger verstecken und geheimhalten
zu müssen,
- durch Scheidung oder Tod einer Bezugsperson plötzlich auf
sich allein gestellt zu sein.
Wo und wie können Erwachsene lesen und schreiben
lernen?
80 % bis 90 % der Kurse in Deutschland werden an
Volkshochschulen durchgeführt, die übrigen an anderen Einrichtungen oder freien
Bildungsinitiativen. Die Kurse finden meistens ein- bis zweimal wöchentlich am Nachmittag
oder Abend statt, oft gibt es aber auch Angebote für Arbeitslose am Vormittag. Die
Kurskosten sind regional sehr unterschiedlich und liegen zwischen kostenfrei bis 2,50 oder
3,00 DM pro Unterrichtsstunde. Die Einrichtungen bemühen sich im allgemeinen um ein
möglichst kostengünstiges Kursangebot, weil die TeilnehmerInnen häufig arbeitslos sind,
Sozialhilfe beziehen oder ein sehr geringes Einkommen haben. In vielen Fällen gibt es
deshalb zusätzliche Ermäßigungen oder Kostenübernahmen. Unzureichende Lese- und
Schreibkenntnisse sind kein individuelles Verschulden, sondern es handelt sich bei
(funktiona-lem) Analphabetismus um ein gesellschaftliches und bildungs-politisches
Problem. Aus diesem Grund müssen finanzielle Re-gelungen gefunden werden, die nicht zu
Lasten der Betroffenengehen.
Hinweise:
- Das Alfa-Telefon des Bundesverbandes Alphabetisierunge.V.
bietet Menschen mit Lese- und Schreibproblemen anonyme Beratung zu Lernmöglichkeiten
sowie
Informationen über ortsnahe Weiterbildungsanbieter.
Tel.: 0251/533344
- Einen Überblick über Weiterbildungsanbieter mit Kursmöglichkeiten
und Service-Einrichtungen bietet die Broschüre:
Alphabetisierung und Elementarbildung in der Bundesrepublik Deutschland.
Institutionenverzeichnis:
Hrsg.: MonikaTröster. Stuttgart: Ernst Klett Verlag 1997,ISBN 3-12-554710-5
Was kann man tun, um die Betroffenen zu
unterstützen?
Je mehr Menschen über das Thema Analphabetismus
informiert sind, je weniger Nichtlesen- und -schreibenkönnen als Tabu verschwiegen wird,
je mehr die Betroffenen akzeptiert und gesellschaftlich einbezogen werden, desto einfacher
wird ihre Situation und desto leichter finden sie den Mut, einen Kurs zu besuchen.
Hilfreich sind Berichte in Fernsehen und Rundfunk,
Artikel in Zeitungen und Zeitschriften. Häufig gibt es auch Faltblätter oder Plakate,
mit denen Bildungseinrichtungen auf ihr Kursangebot aufmerksam machen und die an
öffentlichen Orten ausgelegt werden können. Ämter, Behörden, soziale Einrichtungen,
Arztpraxen, Kirchengemeinden, Betriebe bzw. Betriebsräte und Beratungsstellen sollten
darüber informiert sein, an wen sich Interessierte in ihrer Region für weitere
Auskünfte wenden können. Letztendlich kann jede und jeder helfen, indem er oder sie sich
vor Ort über die konkrete Situation informiert und für die Verbreitung dieser
Information sorgt.
Die Information
"Alphabetisierung - Grundbildung -Grundqualifikationen" kann
beim Deutschen Institut für Erwachsenenbildung (DIE) angefordert werden. Bitte fügen Sie
einen frankierten DIN-A-4-Rückumschlag(DM 3,00) bei.
Deutsches Institut für Erwachsenenbildung (DIE)
Monika Tröster .
Hansaallee 150 .
60320 Frankfurt/Main
Fax: 069/95626-209
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Nachfolgend ein Auswahl von bundesweit tätigen
Institutio-nen und Vereinen, die auf unterschiedlichen Ebenen im Bereich
Alphabetisierung/Grundbildung/Grundqualifikation tätig sind - inhaltlich, konzeptionell
disponierend, beratend oder z. T. auch als Förderer von Projekten oder Maßnahmen.
Bundesanstalt für Arbeit Regensburger
Straße 104, 90478 Nürnberg
Tel.: 0911/179-0, Fax: -179-2123
E-Mail: www.arbeitsamt.de
Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke (BAG
BBW)
Armin Fink Zähringerstr. 59, 77652 Offenburg
Tel.: 0781/7908-110 oder -111, Fax: -7908-191
E-Mail: BAGBBW@t-online.de
Bundesarbeitsgemeinschaft Jugendsozialarbeit (BAG JAW)
Paul Fülbier Kennedyallee 105-107, 53175 Bonn
Tel.: 0228/95968-0
BIBB - Bundesinstitut für Berufsbildung Fehrbelliner Platz 3, 10707
Berlin Tel.: 030/8643-2280, Fax: -8643-2606
ab 1.9.1999: Friesdorfer Str. 151-153, 53175 Bonn
Tel.: 0228/388223, Fax: -388219
E-Mail: pr@bibb.de
Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung
Ref. Öffentlichkeitsarbeit Postfach 14 02 80, 53107 Bonn
Tel.: 0228/527-1111
Bundesministerium für Bildung und Forschung
Referat 214 Dr. Angela Rückert-Dahm Heinemannstr. 2, 53170 Bonn
Tel.: 0228/572841, Fax: -572096
E-Mail: Angela.Rueckert-Dahm@bmbf.bund400.de
Internet: http://www.bmbf.de
Bundesverband Alphabetisierung
Peter Hubertus Goebenstraße 13, 48151 Münster
Tel.: 0251/5346940, Fax: -5346941 Alfa-Telefon: 0251/533344
Deutsche Gesellschaft für Lesen und Schreiben (DGLS)
Dr. Inge Büchner Jean-Paul-Weg 32, 22303 Hamburg
Tel.: 040/2704055
Deutsche UNESCO-Kommission
Christine M. Merkel Colmantstr. 15, 53115 Bonn
Tel.: 0228/60497-0, Fax: -60497-30
E-Mail: dispatch@unesco.de
Deutscher Gewerkschaftsbund
Bundesvorstand Abteilung Bildung Hans Ulrich Nordhaus
Hans-Böckler-Str. 39, 40476 Düsseldorf
Tel.: 0211/4301-576, Fax: -4301-41
Deutsches Institut für Erwachsenenbildung (DIE)
Monika Tröster Hansaallee 150, 60320 Frankfurt/Main
Tel.: 069/95626-168, Fax: -95626-209
E-Mail: troester@die-frankfurt.de
Internet: www.die-frankfurt.de
Goethe-Institut
Lisa Schlamp Implerstr. 69, 81371 München
Tel.: 089/15921451, Fax: -15921461
Institut der deutschen Wirtschaft
Dr. Wolfgang Kramer
Gustav-Heinemann-Ufer 84-88, 50968 Köln
Tel.: 0221/4981-1, Fax: -4981-592
Internationaler Bund - IB
Freier Träger der Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit
Referat Öffentlichkeitsarbeit Burgstraße 106, 60389 Frankfurt/Main
Tel.: 069/94545-0, Fax: -94545-280
E-Mail: refoeff-gf@internationaler-bund.de
Internet: htt ://www.internationaler-bund.de
INBAS - Institut für berufliche Bildung,
Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
Kaiserstr. 61, 60329 Frankfurt/Main Tel.: 069/27224-0, Fax: -27224-30
E-Mail: inbas.frankfurt@t-online.de
Sprachverband Deutsch für ausländische
Arbeitnehmer
Dagmar Paleit Raimundistr. 2, 55118 Mainz
Tel.: 06131/96444-41, Fax: 06131/96444-44
Stiftung Lesen
Heinrich Kreibich Fischtorplatz 23, 55116 Mainz
Tel.: 06131/28890-0, Fax: -230333
Unesco-Institut für Pädagogik
Dr. Paul Bélanger/Ursula Giere Feldbrunnenstr. 58, 20148 Hamburg
Tel.: 040/44804116, Fax: -4107723
Deutscher
Volkshochschul-Verband und Landesverbände der Volkshochschulen
Deutscher Volkshochschul-Verband e.V. (DVV)
Obere Wilhelmstr. 32, 53225 Bonn
Tel.: 0228/97569-0, Fax: -97569-30 E-Mail: buero@dvv-vhs.de
Volkshochschulverband Baden-Württemberg e.V. Rolf
Geyler Raiffeisenstr. 1, 70771 Leinfelden-Echterdingen Tel.: 0711/75900-0, Fax: -75900-41
E-Mail: inf@vhs-verband.bw.schule.de VHSverbBW@aol.com
Bayerischer Volkshochschulverband e.V. Dr.
Jürgen Kleindiek Fäustlestr. 5, 80339 München
Tel.: 089/51080-0, Fax: -5023812
Berliner Senatsverwaltung für Schule, Jugend und
Sport Abt. VIII - Weiterbildung Barbara Münzer Beuthstraße 6-8, 10117 Berlin
Tel.: 030/9026-5249, Fax: -9026-5002
Brandenburgischer Volkshochschulverband e.V. Neustädtische
Wassertorstr. 16-17, 14776 Brandenburg/Havel
Tel.: 03381/522304, Fax: -522304
Landesausschuß der Volkshochschulen des Landes
Bremen Monika Wagener-Drecoll Schwachhauser Heerstr. 67, 28211 Bremen Tel.:
0421/361-3666, Fax: -3613216 E-Mail: vhs@uni-bremen.de
Hamburger Volkshochschule Gisela
Nicolaisen/Almut Schladebach Schanzenstr. 75-77, 20357 Hamburg Tel.: 040/4284127-92 oder
-93, Fax: -4284127-88
E-Mail: 1007 12.1313@compuserve.com
Hessischer Volkshochschulverband e.V.
Dr. Heinz Reiske
Winterbachstr. 38, 60320 Frankfurt/Main
Tel.: 069/560008-33, Fax: -560008-10
E-Mail: hvv-Institut@geod.geonet.de
Volkshochschulverband Mecklenburg-Vorpommern e.V.
Edda Bergmann
Bertha-von-Suttner-Str. 5, 19061 Schwerin
Tel.: 0385/3031550,
Fax: -3031555 E-Mail: vhs-verband-mv@mvnet.de
Landesverband der Volkshochschulen Niedersachsens
e.V.
Bernd Runge
Bödekerstr. 16, 30161 Hannover
Tel.: 0511/34841-13, Fax: -34841-42
E-Mail: Lahannover@t-online.de
Landesverband der Volkshochschulen von
Nordrhein-Westfalen e.V.
Doris Talpay
Heiliger Weg 7-9, 44135 Dortmund
Tel.: 0231/952058-16, Fax: -952058-3
E-Mail: dtalpay@vhs-nrw.de
Verband der Volkshochschulen von Rheinland-Pfalz
e.V.
Dr. Erich Zehnder
Kaiserstr. 58, 55116 Mainz
Tel.: 06131/28889-12, Fax: -28889-30
E-Mail: VHS-Verband-RP@t-online.de
Internet: http://www.vhs-verband-rp.de
Verband der Volkshochschulen des Saarlandes e.V.
Mechthild Müller-BeneckeAltes Rathaus/Schloßplatz,
66119 SaarbrückenTel.: 0681/506888, Fax:- 506590 oder 506371
Sächsischer Volkshochschulverband e.V.
Regina Clauß-Flemmig
Bergstr. 61, 09113 Chemnitz
Tel.: 0371/354275-3, Fax: -354275-5
E-Mail: svvvhs@t-online.deInternet: www.vhs-sachsen.de
Landesverband der Volkshochschulen
Sachsen-Anhalt e.V.
Gundula Ihlefeld
KVHS Ohrekreis Warmsdorfer Straße 20, 39340 Haldensleben
Tel.: 03904/42271, Fax: -2413
E-Mail: kvhsok@aol.com
Internet: http://members.aol.com/vhsokhdl/index.htm
Landesverband der Volkshochschulen
Schleswig-Holsteins
e.V.
Monika Peters
Holstenbrücke 7, 24103 Kiel
Tel.: 0431/97984-24; Fax: -96685
E-Mail: pe@vhs-sh.de
Internet: www.vhs-sh.de
Thüringer Volkshochschulverband e.V.
Angelika Mede
Konrad-Zuse-Str. 3, 07745 Jena
Tel: 03641/620903, Fax: -620978
E-Mail: vhs-LV-Thueringen@t-online.de
Impressum
DIE-Projekt "Netzwerk Grundqualifikationen
(NET)" April 1997 bis Mai 1999 Mitarbeitende: Monika Tröster - Projektleitung
Sylvia Haas - Sachbearbeitung
Adresse:
Deutsches Institut für Erwachsenenbildung (DIE)
DIE-Projekt NET
Hansaallee 150
D-60320 Frankfurt/M. Fon 069/95626-168 Fax 069/95626-209 e-mail: troester@die-frankfurt.de Internet:
http://www.die-frankfurt.de
Autorinnen:
Monika Peters, Landesverband der Volkshochschulen
Schleswig-Holsteins e.V.
Monika Tröster, Deutsches Institut für
Erwachsenenbildung (DIE)
Das DIE-Projekt "Netzwerk Grundqualifikationen"
wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.
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