Lernberatungsgespräch

Die Veränderung des Teilnehmerkreises hat uns Mitarbeiter immer wieder an die eigenen Grenzen geführt, so auch an die, zu erkennen, dass das vertraute pädagogische, methodisch-didaktische Handwerkszeug nicht mehr ausreicht.

Die höchst unterschiedlichen Lernvoraussetzungen des Teilnehmerkreises sind von vielen einzelnen Faktoren der persönlichen Lebens- und Lerngeschichte geprägt. Für die Unterrichtsplanung bedeutet das, unser Handwerkszeug auf das Umgehen mit offenen Situationen zu überprüfen und zu entwickeln.

(Lernberatungsgespräch)

Akut wird der Bedarf nach Lernberatung vieler Teilnehmer vor Klassenarbeiten, bei Zwischen- oder Abschlussprüfungen oder generell bei jeglicher Leistungsanforderung. Die Bausteine Anforderungsmodell und Angebotskatalog aus dem jeweiligen Berufsfeld sind Grundlagen, die in Förderkonferenzen von Mitarbeitern genutzt werden können, um in einer Zusammenschau Facetten zu einer möglichst genauen Erarbeitung eines Lernleitfadens entstehen zu lassen.

Dem einzelnen Teilnehmer wird (bisher noch nach Bedarf und Bedürfnis) Lernberatung angeboten mit dem Ziel der gemeinsamen Erarbeitung eines Lernleitfadens. Mit diesem Instrument soll das Lernen in eigener Verantwortung systematisch aufgebaut und gefördert werden. Entlang eines Leitfadeninstrumentariums wird an den drei Schwerpunkten

  • Zielvereinbarungen
  • Lernerfahrungen
  • Lerntechniken/Lernorganisation

eine der jeweiligen Person angemessene Festlegung auf einen Lernleitfaden zwischen Berater und Teilnehmer verabredet und in eine Zeitplanung eingebunden. Die Ziele, die wir verfolgen, sind auf den Aufbau der Lernkompetenzen ausgerichtet. Dazu gehören:

  • Festlegung des nächsten Lernziels
  • Planung der Lernschritte
  • Wo orientiere ich mich (Orientierungswissen)?
  • Wie mache ich das (Lerntechniken)?
  • Wie unterscheide ich Wichtiges von Unwichtigem?
  • Wie stelle ich Fragen?
  • Wann mache ich das (Zeitplanung)?
  • Wo oder bei wem hole ich mir Hilfen?
  • Wie bewerte ich die Qualität meiner Arbeitsergebnisse?

Methodisches Handwerkszeug zum Führen eines Lernberatungsgesprächs ist das Leitfrageninstrumentarium. Es erleichtert uns den dialogischen Gesprächsverlauf mit dem Teilnehmer und eröffnet die Chance eines gemeinsamen Reflexionsprozesses. Deshalb haben wir versucht, bei unserem Fragenkatalog den Interviewcharakter zu vermeiden. Stattdessen ist uns die Möglichkeit der Identifizierung mit dem Inhalt des Fragenkomplexes wichtig. In diesem Prozess erleben wir oft, dass die meisten Teilnehmer wenig positive Erfahrung haben von anderen angehört zu werden. Sie sind wenig geübt sich einzubringen, sie haben es nicht gelernt Wünsche mit Sprache , die sich an ein Gegenüber richtet, auszudrücken. Die wenigsten wissen, wie sie Fragen stellen können. Wie schon erwähnt, geht es uns bei der Arbeit mit den Leitfragen einerseits um einen dialogischen Gesprächsverlauf, andererseits haben wir bei der Auswahl der Fragen auch darauf geachtet, dass diese geeignet sind, konkrete Verabredungen am Ende eines Gespräches herbei zu führen.

Die drei Schwerpunkte des Lernleitfadens:

  1. Meine Ziele


  2. Meine Erfahrungen und meine Erlebnisse mit Lernprozessen


  3. Meine Lerntechniken/meine Lernorganisation


    1. Meine Ziele
    Welches (berufliche) Ziel verfolge ich eigentlich?
    Wie bin ich auf dieses Ziel gekommen (Leitbilder/Vorstellungen)?
    Was erwarte und erhoffe ich hier in der Einrichtung?
    Was möchte ich von anderen?
    Was erwarte ich von mir selbst?
    Welche Chancen sehe ich, mein Ziel zu erreichen? Hindernisse, die auf meinem Weg sehe oder vermute!
    Was kann ich tun, um meinem Berufsziel näher zu kommen?
    Was kann ich tun, um dem Unterricht zu folgen?
    Was kann ich tun, um eine gute Klassenarbeit zu schreiben?
    Welche Hilfen brauche ich? Fragen, die ich an meinen Lehrer stellen könnte!


Ein Beispiel aus der Arbeit zur Zielbestimmung (Standortbestimmung)
(Text einer Auszubildenden aus dem Berufsfeld Bürokaufmann/-frau):

"Ich sehe mich selbst als Außenseiter, der sich erst langsam in die Gesellschaft eingliedern muss und spüren muss, dass er ein Teil seiner Umwelt ist. Ich rede oft noch zu leise und werde deshalb von vielen nicht verstanden und sie hören mir dann oft nicht mehr zu Ich muss noch daran arbeiten, mein Verhalten zu ändern, ruhiger zu werden und lauter und deutlicher zu sprechen, damit ich von den anderen akzeptiert und angenommen werde. Die anderen denken, ich wäre stumm, weil ich mich oft noch nicht traue, was zu sagen. Dabei habe ich oft gute Gedanken, die ich oft nicht in Worte fassen kann. Aber wenn ich mir Mühe gebe, gelingt es mir manchmal schon dies zu tun... .Ich muss noch mehr aus mir rausgehen und lernen, was ich möchte oder auch nicht möchte."

 

    2. Meine Erfahrungen und meine Erlebnisse mit Lernprozessen
    Was brauche ich, um gut lernen zu können?
    Was stört mich beim Lernen?
    Ein Erlebnis (soll nicht nur auf schulisches Lernen bezogen werden), bei dem mir Lernen Spaß gemacht hat.
    Ein Lernerlebnis, das mir Angst gemacht hat.

Bei diesem Fragenkomplex geht es darum, Lernerfahrungen ernst zu nehmen, den negativen Erlebnissen Raum zu lassen, wenn dieser Raum gewünscht wird. Ziel ist es, an den positiven Erfahrungen anzuknüpfen, sie zu stärken und weiter zu entwickeln.


Ein Beispiel für Lernerfahrungen mit solchen Anknüpfungspunkten ist ein Text eines Auszubildenden aus dem Berufsfeld Gärtnerei:

"Ich dachte immer, dass ich zum Lernen nur Bücher und Ruhe brauche. Das ist aber ein Irrtum. Zum Lernen braucht man weitaus mehr. Das fand ich erst heraus, als ich mir zehn Begriffe eingeprägt hatte und später keinen von ihnen mehr wusste. Es hatte also nicht ausgereicht, sie aus dem Buch herauszulesen und sie krampfhaft mit dem Kopf aufzusaugen. Bei den zehn Begriffen handelte es sich um europäische Hauptstädte, die ich für den geographischen Unterricht lernen sollte. Später, als ich sie mir noch einmal auf der Karte ansah, behielt ich sie im Kopf. Ich merkte, dass bildliches Lernen genau so dazu gehört wie schriftliches Lernen."

Aus der Reflexion seiner Lernerfahrungen lautet der Hinweis zur Organisation seines Lernprozesses an uns: "Es genügt nicht, nur Worte zu begreifen, man muss sie auch bildlich sehen."

    3. Meine Lerntechniken/meine Lernorganisation
    Wie lerne ich eigentlich?
    Wie lerne ich für eine Klassenarbeit?
    Wie lerne ich, wenn ich mich auf eine Prüfung vorbereite?
    Habe ich feste Lernzeiten?
    Wann sind die?
    Gestatte ich mir Pausen?
    Was mache ich eigentlich in diesen Pausen?
    Lerne ich am Wochenende?
    Habe ich eine feste Tageszeit?
    Lerne ich gern alleine?
    Lerne ich lieber mit anderen?
    Wie gestalte ich mir meine Lernumgebung?


Beispiel vom bewussten Umgehen mit Lerntechniken einer Teilnehmerin aus dem Berufsfeld Bürokaufmann/-frau

Ich lese mich ein.

Ich markiere die Kernstücke (was ich als wichtig empfinde).

Ich lerne mit Musik ohne Text.

Ich habe eine bestimmte Kassette, wenn ich mich an die Melodie erinnere, fällt mir manchmal während der Arbeit ein, was ich gelernt habe.

Ich baue Eselsbrücken, versuche den Stoff mit Erlebtem/Bekanntem zu verbinden(z. B. Düsseldorf - du "Dussel").

Über Stoff diskutieren.


Nicht abzutrennen von den Lerntechniken, von der Lernorganisation ist das Umgehen mit der Zeit.
Eine genaue Zeitplanung ist unabdingbar, da sie oft über Erfolg und Misserfolg entscheidet. Bei der Zeitplanung geht es um Absprachen wie z. B. auch die, welche Zeit der Teilnehmer im Rahmen seines persönlichen Kräftehaushaltes zur Verfügung hat, um zu lernen. Wir lassen uns Zeit für das Reflektieren des gewohnten und meist nicht sehr bewussten Umgangs mit dem Tages- und Wochenrhythmus des einzelnen Teilnehmers. Am Ende eines solchen Beratungsgesprächs steht dann eine Verabredung. Wie könnte eine solche Verabredung aussehen?


Das Lernziel muss geklärt werden ("Ich schreibe in zwei Wochen eine Klassenarbeit über den Aufbau der Metalle")

Das komplexe Thema "Aufbau der Metalle" muss untergliedert werden in einzelne Unterthemen

Die Lerntechniken müssen geklärt werden
Lesen des Textes im Fachbuch, Stichwörter herausschreiben, eigenen Text schreiben, Lernkartei zu Fragen anlegen u. a., Partnerarbeit, gegenseitiges Abfragen

Der Zeitrahmen muss abgesteckt werden
Klären, welche weiteren Aufgaben in den zwei Wochen auch erledigt werden müssen bzw. welche vordringlich sind, welche später bearbeitet werden können, wie viel Pausen nötig sein werden, welche Tageszeit zum Lernen günstig ist und welche nicht. Aus diesen "Eckfragen" entsteht ein Zeitplan für zwei Wochen, aus dem ersichtlich wird, wann Lernzeit für die Klassenarbeit ist.


Gemeinsam getroffene Verabredungen für einen konkreten Lernschritt haben nur einen Sinn, wenn die Grundlagen für das Einhalten klar sind. Ein solcher Schritt erhöht die eigene Gestaltungsfähigkeit und die Möglichkeit, sich der eigenen Verantwortung bewusst zu werden und sie übernehmen zu lernen. Diese Wege können nur im Konkreten geplant, getan, überprüft und weiterentwickelt werden. "Selbstorganisation bedeutet keineswegs Beliebigkeit. Verabredungen und Rituale werden wichtiger". In der Diskussion um die berufliche Grundbildung wird nach meiner Meinung die Bedeutung des Wechselspiels von Lehren und Lernen zwischen Lehrenden und Lernenden wachsen. Der Lernprozess wird sich in seinem Gesamtergebnis weniger an fertig abrufbaren Produkten messen lassen können als vielmehr an den Fähigkeiten, den nächsten konkreten Lernschritt zu erkennen, ihn mit Hilfe von verfügbarem methodischem Handwerkszeug zu gehen, dafür die Verantwortung zu übernehmen und den gemachten Schritt reflektierend zu bewerten.