DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Stichwort Lernorte

Horst Siebert

In der Erwachsenenbildung ist – mehr als in der Schulpädagogik – die Frage nach dem Lernort von zentraler Bedeutung. In allen Epochen wurde nach optimalen, lernförderlichen »Orten« gesucht: Man fand die Heimvolkshochschule als »beruhigte Zone« des gemeinsamen Lebens, Lernens und Nachdenkens; die eigenen Volkshochschulhäuser als kommunale Treffpunkte; Selbstlernzentren mit audiovisuellen Lehrangeboten; den Betrieb als Ort arbeitsintegrierten Lernens, auch Übungsfirmen, Lernstätten, Qualitätszirkel; Naturparks für ökologisches Lernen; Museen, Gedenkstätten, Ausstellungen; die Universität als Lernort für Erwachsene; den Stadtteil und andere Orte für literarische Exkursionen (»Auf den Spuren Fontanes«); virtuelle Lernorte des E-Learning; variable Lernorte im Rahmen selbstgesteuerten Lernens; duale Formen seminaristischen und praxisorientierten Lernens.

Die Lernortfrage stellt sich auch bei den lernenden Organisationen und den lernenden Regionen. Es wird nicht nur in einer Organisation gelernt, sondern die Organisation lernt selber. Ähnliches gilt für die Region: Menschen lernen in einer Region, aber die Region verfügt über eigene Lernkapazitäten und lernförderliche oder lernhinderliche Infrastrukturen. So kann auch von einer lernenden Gesellschaft gesprochen werden: Gesellschaften fördern oder behindern lebenslanges Lernen ihrer Mitglieder. Zugleich kann sich das gesellschaftliche System insgesamt als lernoffen oder aber als lernresistent erweisen.

Begrifflich ist das »Terrain« eher unscharf und diffus: Lernorte sind die Umgebungen, die Erwachsene zum Zweck des Lernens zeitlich begrenzt aufsuchen: einen Seminarraum, eine Ausstellung, eine Bibliothek. Lernorte sollten Qualitätsstandards erfüllen, z.B. körperliches Wohlgefühl ermöglichen, funktional und zweckmäßig ausgestattet sein, Lernprozesse stimulieren (z.B. durch Poster), ohne durch Reizüberflutung Aufmerksamkeit vom Thema abzulenken. Lernorte sollten flexibel durch die Gruppe gestaltet werden können.

Lernorte müssen »passen«. Je nach Zielgruppe, Thema, Lernziel und Methodik sind Lernorte mehr oder weniger geeignet.

Das gilt auch für die Lernarchitektur. Unter Lernarchitektur lässt sich das Ensemble der Lerngelegenheiten verstehen. So gehört zur Architektur eines Bildungsurlaubseminars eine Dramaturgie unterschiedlicher Lernorte und Organisationsformen, z.B. Besichtigungen, Podiumsdiskussionen, Projektgruppen, Internet-Recherchen. Eine Lernarchitektur kann aus unterschiedlichen Lernstationen bestehen, also aus didaktischen Einheiten wie Textarbeit, einer biografieorientierten Lernphase, einer kreativ-ästhetischen Gestaltung des Themas, aus Expertengesprächen. Die Lernarchitektur kann auch erlebnispädagogische Settings beinhalten und sollte milieuspezifische Lerngewohnheiten, Umgangsformen und Problemsichten der jeweiligen Zielgruppe berücksichtigen.

Der Begriff des Lernraums bezieht sich auf sozioökonomische und soziokulturelle, ökologische und politische Gebiete. Stadtteile, Industriegebiete, grenznahe Regionen, Landschaften, geschichtliche Brennpunkte, multikulturelle Wohnorte, touristische Attraktionen enthalten Lernchancen und Bildungspotenziale. Auch Heimat ist ein Lernraum. Einrichtungen der Erwachsenenbildung können Zentren solcher Lernräume sein, sie können Netzwerke knüpfen und lokale Lerninfrastrukturen optimieren.

Neurowissenschaftler wie Gerhard Roth sprechen von einem »Ortsgedächtnis des Lernenden«: Wir lernen nicht nur an einem Ort, wir lernen Orte mit ihren Lernthemen. Der räumliche Kontext »ist mitentscheident für den Lernerfolg und wird zusammen mit dem Wissensinhalt abgespeichert« (Roth 2003, S. 27). Lernorte sind mehr als der organisatorische Rahmen, sie sind das Feld, in dem Lernprozesse ermöglicht oder auch verhindert werden. Lernorte können Katalysatoren des Lernens sein, sie filtern, verknüpfen und verstärken Lernaktivitäten.

Lernorte sind nicht statisch, sie sind nicht »vorhanden«, sondern werden vom Menschen erzeugt. Es hängt von der Beobachtungsperspektive ab, welche Lernthemen an einem Ort wahrgenommen werden. Dies können auch Recht und Unrecht, Armut und Verschwendung, Freundlichkeit und Unfreundlichkeit sein.

Literatur:

Roth, G. (2003): Warum sind Lehren und Lernen so schwierig? In: REPORT H. 3, S. 20–28