Einführung:

Die politische Zeitung spielte als Lesestoff der unteren Stände im späten 18. und im 19. Jahrhundert eine wichtige Rolle. Die Zeitschrift der „Rässonirende Dorfkonvent, eine gemeinnützige ökonomisch-moralische-politische Schrift für den Bürger und Landmann", die von Johann C. Thon 1786 bis 1788 herausgegeben wurde, war solch ein volksaufklärerisches Medium.

Auf dem Titelblatt lässt sich das Programm der Zeitung nachlesen: „Das Dorfkonvent sitzt, prüft den Schlendrian. Forscht, was dir nützt, führt dich zum Denken an. Sprich nicht: Was hilft das viele Räsonniren? Freund: manches ist probat und manches zu probieren.“ (Thon 2001)

Räsonnieren ist heute ein fast vergessenes Wort mit den Bedeutungen: Vernünftig über etwas nachdenken, Über etwas schimpfen, Etwas mit vielen Worten aussprechen und Nörgeln. Der öffentlich diskursive und aufklärerische Charakter des Räsonierens wird in gängigen lexikalischen Übersetzungen fast immer unterschlagen.

Damals bedeutete Räsonnieren:

„Der im 18. Jahrhundert durchaus übliche Begriff des Räsonnierens, verweist nicht nur auf die reflektierende Verstandestätigkeit, sondern konnotiert zugleich auch das Dialogische. Im Gespräch erst entfalten sich die Argumente der Vernunft. Diskutiert wurden die Maßnahmen des absolutistischen Staates, politische Ereignisse, staatsrechtliche Vorstellungen…, natürlich auch die den Handel betreffenden Nachrichten… Diskutiert wurden auch in einem besonderen Maß literarische Neuerscheinungen.“ (Nusser 2012, 130)

Hauptanliegen der Zeitung war die Popularisierung von Wissen im Medium einer didaktisierenden literarischen – oft belustigenden - Darstellungsform. Exemplarisch wurden Denkhandlungen vorgeführt und es fand eine Konfrontation unterschiedlicher Perspektiven statt. Die Zeitung wollte durch Fragen zum Denken anregen, kritisierte den Volksglauben, das fraglose Bestätigen von Traditionen und die unhinterfragten Alltagsweisheiten. Zentrale Themen waren neue Erkenntnisse der Ökonomie, der Landwirtschaft, Politik und Naturwissenschaften

Eine wichtige Darstellungsform war dabei das Gespräch, die Diskussion in Form eines Dialogs zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Protagonisten: dem Amtsrat, dem Pächter, dem Dorfrichter, dem Kantor und der Figur des Mitnachbarn.

Die Zeitung wendete sich an die ländliche Bevölkerung. In der nachfolgend ausgeführten Textstelle wird in Gedichtform die kopernikanische Wende vermittelt. Nach Goethe stellte sie eine Hauptanforderung an das Lernen in seiner Zeit dar. Er beschrieb sie wie folgt: „Doch unter allen Entdeckungen und Überzeugungen möchte nichts eine größere Wirkung auf den menschlichen Geist hervorgebracht haben, als die Lehre des Kopernikus. Kaum war die Welt als rund erkannt und in sich selbst abgeschlossen, so sollte sie auf das ungeheure Vorrecht Verzicht tun, der Mittelpunkt des Weltalls zu sein. Vielleicht ist noch nie eine größere Anforderung an die Menschheit geschehen.“ (von Goethe 1959, 639)

Quellentext:

„Ein kluger Kopf, Herr Jeremies

Steckt´ eine Lerche an den Spieß,

Um sie zu braten – und er ließ

Die Lerche nicht, und auch den Spieß nicht wanken.

Da nun des Feuers Kraft nur einen Theil erhitzt.

Und nicht dem ganzen Braten nützt;

So martert er sich in Gedanken,

Wie er die große Kunst erfände,

Daß sich der ganzen Küche Last

Mit allem, was sie in sich faßt,

Um seine Lerche dreh und wende.

Er rief die Künstler in sein Haus,

Trug seinen Anschlag vor, und legt gelehrt ihn aus.

 

Zuletzt ließ einer sich heraus:

Du Narr, lass nur den Spieß sich mit der Lerche drehen,

So kann die Küche stille stehen.

Man siehe der Parabel nach. Herr Tycho wars, der sich den Kopf zerbrach,

Wie sich die Sonne, trotz der ungeheuren Masse

Um unsere kleine Erde drehen lasse.

Ihn lernt Kopernikus, dass alles besser geht,

Wenn sich die Erde, nicht die Sonne dreht.

P.: Habt ihr die Erzählung verstanden?

R.: Lieber Freund! Die Meinung ist nicht

so toll, als ihr euch vorstellt. Ich bin selber

dafür – Überlegt, ob es nicht wahrschein-

licher sey, daß sich der kleine Körper um den

großen, als der große um den kleinen drehe?

Die Sonne ist ihrem körperlichen Inhalte nach

Über eine Millionmal größer als die Erde.

Diese ungeheure Masse soll sich um die kleine

 Erde drehen? Wer kann glauben, dass Gott

Der weiseste Baumeister, eine solche Einrich-

Tung gemacht? der Küche befohlen habe, um

Die Lerche herumzugehen?“ (Thon 2001, 339ff)

Literatur:

Goethe, Johann W. von (1810): Entwurf einer neuen Farbenlehre, in: Goethe Gesamtausgabe der Werke und Schriften in 22 Bänden, hier Band 21. Stuttgart 1959, S.639

Knobloch, Eberhard (2004): Copernicanische Wende. Signatur des Jahrhunderts; in: Dülmen, Richard von/Rauschenbach, Sina (Hrsg.): Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft. Köln, S.89-110

Nusser, Peter (2012): Deutsche Literaturgeschichte Vom Barock bis zur Gegenwart. Darmstadt

Thon, Johann A. C. (2001): Das räsonnierende Dorfkonvent. Eine gemeinnützig, ökonomisch-moralisch- politische Schrift für den Bürger und Landmann. Neudruck der Teile 1-3. Erfurt 1786-1788, in Auswahl. Stuttgart

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