Paulo Freire (1921-1997) arbeitete früh in Alphabetisierungskursen mit und war in der katholischen Basisbewegung Brasiliens aktiv. Er war in seinen pädagogischen Überlegungen von der „Theologie der Befreiung“ beeinflusst. Das bedeutete auch eine starke Betonung des dialogischen Prinzips, wie es von Martin Buber (1878-1965) entwickelt worden war. 1959 stellte P. Freire in seiner Habilitationsschrift sein Erziehungskonzept vor. Kurze Zeit später begründete er mit Studierenden und fortschrittlichen Intellektuellen die „Bewegung für Volkserziehung“. Sie vertrat folgende Zielsetzungen:

  • Das formelle und informelle Ausbildungswesen für die unteren Bevölkerungsschichten auszubauen
  • In der Gemeinschaft verankerte Erziehungskonzeptionen zu befördern und auszuarbeiten
  • Das kulturelle Niveau der einfachen Menschen im Hinblick auf ihr alltägliches Leben und ihre Arbeit zu heben
  • Bildung als dauernden Lernprozess zu betreiben
  • Berufliche Fortbildungskurse anzubieten
  • Multiplikatoren auszubilden (Mädche 1995, 84)

Das Hauptinteresse P. Freires bestand darin, ein Konzept der Alphabetisierung zu entwickeln. So schreibt S. Höpken: „Das drängende Problem des Analphabetismus ließ Freire nach einer Methode suchen, die die Beherrschung gesellschaftlicher Techniken wie Lesen und Schreiben mit einem Prozess der Bewußtseinsweckung, der sowohl die kritische Reflexion wie auch das verändernde Handeln beinhalten sollte, verband.“ (Höpken 2000, 27)

P. Freire war mit seinen Alphabetisierungsprojekten Anfang der 1960er Jahre so erfolgreich, dass die brasilianische Regierung ab 1964 flächendeckend Projekte zur Alphabetisierung durchführen wollte. Der Militärputsch setzte dem ein Ende und P. Freire musste nach kurzer Inhaftierungszeit ins chilenische Exil gehen. Dort war er bis 1968 als Beauftragter der UNESCO tätig.

1970 wurde sein Buch „Pedagogy of the Oppressed“ veröffentlicht. 1971 folgte die erste deutsche Übersetzung „Die Pädagogik der Unterdrückten“. Zentral dabei ist seine Überlegung, dass die Bewusstwerdung über die eigene Unterdrückung Teil des Lernprozesses in der Alphabetisierung wird. So formulierte P. Freire:

„… ist das Team der Erzieher bereit, dem Volk seine eigene Thematik in systematisierter und ausgebauter Form zu repräsentieren. Die Thematik, die von den Leuten kam, kehrt zu ihnen zurück – nicht als Inhalte, die eingelagert werden, sondern als Probleme, die es zu lösen gilt.“ (Freire 1973, 103)

Nicht Alphabetisierung in einem instrumentellen Sinne, sondern als Lernprozess zur kritischen und selbstbestimmten Teilhabe an Kultur und Politik mit dem Ziel der Demokratisierung der Gesellschaft ist das Programm.

Nach W. Seitter hat Paulo Freire „einen wesentlichen Beitrag zur Formulierung einer Pädagogik geleistet, die sich parteiisch der Aufgabe stellt, durch die gemeinsame, gleichberechtigte, kritisch-dialogische Reflexion und Aktion alle Menschen zu einer sozio-kulturellen Teilhabe und sprachlichen Artikulation mit Blick auf eine gerechtere Gesellschaftsordnung zu befähigen.“ (Seitter 2007, 437)

Nach Mark Smith sind es fünf Aspekte,die eine besondere Bedeutung für P. Freires pädagogisches Konzept haben: “his emphasis on dialogue and collaboration in an informal educational situation; the need for education to enable oppressed people to change the world through their own actions or ´praxis´(a Marxist term); developing a transformed understanding of the nature of social and political oppression or ´conscientization´; centering on the experience of the learners rather than a standard book-led curriculum; lastly Christian metaphors of redemption and transformation.” (Smith 2005, Online)

Archive:

Paulo Freire Critical Pedagogy Archive, in der Bibliothek der Chapman-University, USA, unter: http://www1.chapman.edu/library/archives/paulofreire.html

Literatur:

Conceicao, Simone C.O./Oiveira, Augusto Marcos Fagundes (2007): Liberation Theology and Learning in Latin America; in: Merriam, Sharan B.: Non-Western Perspectives on Learning and Knowing. Malabar, S.137-153

Freire, Paulo (1973): Pädagogik der Unterdrückten. Bildung als Praxis der Freiheit. Reinbeck

Funke, Kira (2010): Paulo Freire. Werk, Wirkung und Aktualität. Münster

Höpken, Stefanie (2000): Gewaltfreiheit und Dialog. Die Erziehungskonzeption Paulo Freires und Mahatma Gandhis. Oldenburg

Kane, Liam (2001): Popular Education and Social Change in Latin America. London

Kirylo, James D. (2011): Paulo Freire. The Man from Recife. New York

Mädche, Flavia (1995): Kann Lernen wirklich Freude machen? Der Dialog in der Erziehungskonzeption von Paulo Freire. München

Seitter, Wolfgang (2007): „Pädagogik der Unterdrückten“ (1970) von Paulo Freire; in: Koerrenz, Ralf/Meilhammer, Elisabeth/Schneider, Käthe (Hg.): Wegweisende Werke zur Erwachsenenbildung. Jena, S.437-448

Steele, Tom/Taylor, Richard (1995): Learning Independence. A political outline of Indian Adult Education. Leicester

Internetquellen:

Paulo Freire Kooperation e.V., unter: http://www.freire.de/

Kurzbiografie Paulo Freire, unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Paulo_Freire

Smith, Mark (2005) über Paulo Freire, unter:: http://www.infe(ed)org/thinkers/et-freire.htm

Illustrationsmaterial:

Paulo Freire, Fotograf: Slobodan Dimitrov, Zugriff am 27.04.2017. Verfügbar unter: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/40/Paulo_Freire.jpg

Kurzlink zu dieser Seite:
die-bonn.de/li/558