Einführung

Vom 31.05. bis 06.06.1931 fand in im Volkshochschulheim Prerow auf dem Darß eine Arbeitstagung über das Thema „Grundfragen der Abendvolkshochschule“ statt. Die Veranstalter waren die Deutsche Schule für Volksforschung und Erwachsenenbildung und der Reichsverband der Volkshochschulen. Die dort verabschiedete Formel, gilt in der Literatur als der Beleg der realistischen Wende in der Volkshochschularbeit.

Beispielhaft dafür stehen die nachfolgenden Zitate von Josef Olbrich, Joachim Dikau, Elisabeth Meilhammer und Dieter Langewiesche:

„Die Tagung von Prerow bedeutete den Abschied von den neuromantischen Ideen der so genannten Neuen Richtung. und die Hinwendung zu den aktuellen sozialen, beruflichen und politischen Themen der Gegenwart. Damit beendeten die Volkshochschulen ihren pädagogischen Sonderweg und legten die Ideologie der Eigenständigkeit gegenüber den anderen Bereichen des Bildungssystems ab.“ (Olbrich 2001, 162)

„Mit der Hinwendung der Theoretiker des Volkshochschulwesens zu den konkreten Aufgaben empirischer Forschung und Mitarbeiterqualifizierung wurde nunmehr auch außerhalb der Praxis der Abendvolkshochschulen eine neue Entwicklungsphase eingeleitet.“ (Dikau 1975, 119)

„Ein Grundkonsens über die Aufgaben und Ziele der EB konnte indes erst 1931 mit der sog. „Prerower Formel“ erzielt werden.“ (Meilhammer 2010, 127)

„Dieser Kompromiß blieb zwar umstritten, war aber nüchtern genug gefaßt, um als Minimalverständigung zu dienen. Die Abendvolkshochschule wurde definiert als eine an den Lebenserfahrungen der Besucher anknüpfende „unterrichtsmäßige Form der Erwachsenenbildung“, die vor allem auf Absolventen der Volks- und Berufsschule ziele. Damit war man aus den säkularisierten Heilsvermutungen, die viele den Volkshochschulen aufbürdeten, in die Realität zurückgekehrt.“ (Langewiesche 1989, 344)

Wie stark die letztendlich angenommene Prerower Formel ein umstrittener Kompromiss war, lässt sich aus einem Vergleich mit dem 1. Entwurf ablesen, Hier wurde der Erfahrungsbezug als zentraler Bezugspunkt eindeutiger betont.

Im 1. Entwurf heißt es:

„4. Das didaktische Prinzip müsse sich an den Lebenserfahrungen der Besucher und ihren Bedürfnissen, wie sie sich aus den „Lebenserfahrungen der Besucher“ und ihren Bedürfnissen, wie sie sich aus der sozialen Gliederung und den landwirtschaftlichen und örtlichen Begebenheiten ergeben, sowie an einer möglichst großen Selbständigkeit der Teilnehmer orientieren.“ (Protokollbuch der Deutschen Schule für Volksforschung und Erwachsenenbildung 1931-1933)

Im angenommenen Entwurf heißt es dagegen:

„4. Für den Aufbau des Arbeitsplanes maßgebend sind die Lebenserfahrungen der Besucher und ihrer Bedürfnisse, wie sie sich aus der sozialen Gliederung und den landwirtschaftlichen und örtlichen Besonderheiten ergeben. Die Arbeitsweise gründet sich auf selbsttätiger Mitarbeit der Teilnehmer.“ (Henningsen 1960, 146)

Im 1. Entwurf wurden die Lebenserfahrungen der Teilnehmenden nicht nur als Grundlage des planerisch-organisatorischen Handelns angesehen, sondern sollte auch Basis der Didaktik dienen. In diesem Belang wurde der 2. Entwurf in gewisser Weise ein stückweit seines Realismus´ entschärft.

 

Quellentext:

  1. Die öffentliche Abendvolkshochschule dient der Weiterbildung Erwachsener, in erster Linie derer, die Volks- und Berufsschulen besucht haben. Als unterrichtsmäßige Form der Erwachsenenbildung steht sie in Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen der Erwachsenenbildung
  2. Das Bildungsziel ergibt sich aus der Notwendigkeit der verantwortlichen Mitarbeit aller am staatlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben der Gegenwart. Die erzieherische Wirkung der Abendvolkshochschule liegt in der Klärung und Vertiefung der Erfahrungen, der Vermittlung gesicherter Tatsachen, der Anleitung zum selbständigen Denken und der Übung gestaltender Kräfte. Dabei kommt es nicht auf rein fachliche Ausbildung und wissenschaftlich-systematische Vollständigkeit an.
  3. Wie bei jeder Schule steht auch in der Abendvolkshochschule der geordnete Unterricht im Mittelpunkt. Die Abendvolkshochschule erstrebt einen planmäßigen Aufbau der Lehrgebiete, soweit die Freiwilligkeit des Besuchs und der Charakter als Abendschule es zulassen.
  4. Für den Aufbau des Arbeitsplanes maßgebend sind die Lebenserfahrungen der Besucher und ihrer Bedürfnisse, wie sie sich aus der sozialen Gliederung und den landwirtschaftlichen und örtlichen Besonderheiten ergeben. Die Arbeitsweise gründet sich auf selbsttätiger Mitarbeit der Teilnehmer. (Henningsen 1960, 146)

Archive:

Archiv des Deutschen Institut für Erwachsenenbildung, Bonn: Protokollbücher der Deutschen Schule für Volksforschung und Erwachsenenbildung der Tagungen 1931-1933; Nachlass Fritz Laack

Literatur:

Dikau, Joachim (1975): Die Geschichte der Volkshochschule; in: Pöggeler, Franz (Hrsg.): Geschichte der Erwachsenenbildung. Stuttgart, S.107-132

Henningsen, Jürgen (1960): Die „Prerower Formel“; in: ders.: Die Neue Richtung in der Weimarer Republik. Stuttgart, S.146

Meilhammer, Elisabeth (2010): Geschichte der Erwachsenenbildung – in Deutschland bis 1945; in: Arnold, Rolf/ Nolda, Sigrid/ Nuissl, Ekkehard (Hrsg.): Wörterbuch Erwachsenenbildung. Bad Heilbrunn, S.125-128

Olbrich, Josef (2001): Geschichte der Erwachsenenbildung in Deutschland. Bonn

Wirth, Ingeborg (1978): Prerower Formel; in: Wirth, Ingeborg (Hrsg.): Handwörterbuch der Erwachsenenbildung. Paderborn, S.548-550

Langewiesche, Dieter (1989): Erwachsenenbildung; in: Langewiesche, Dieter/Tenorth, Heinz-Elmar: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte Band V 1918-1945. Die Weimarer Republik und die nationalsozialistische Diktatur. München, S. 337-370

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Klaus Heuer