Einführung:

Dieser vereinsmäßig organisierte Schultyp war nach dem Conversations-Lexikon von Meyer aus dem Jahr 1850 eine Einrichtung: „in welchem die an den Wochentage gehinderten jungen Leute, namentlich Lehrlinge, Gesellen, Dienstboten und an Fabrikorten, die Kinder, die man in den Wochentagen zur Arbeit braucht, Sonntags einige Stunden lang in Lesen, Schreiben, Rechnen und anderen gemeinnützigen Kenntnissen sowie in der Religion unterrichtet hatte.“ (Meyer 1850, 704)

Die Sonntagsschule hatte demnach eine nachqualifizierende Funktion für die unzureichende Volksschulbildung. Sie sprach auf freiwilliger Basis berufstätige Jugendliche und junge Erwachsene an. Die Sonntagsschule kann zu den Vorläufern der gewerblichen Fachschulen und des dualen Berufsbildungssystems gezählt werden. Anders als im internationalen Vergleich spielt die (protestantische) Religionsvermittlung keine übergeordnete Rolle.

Nach Volker Gedrath hatten die Sonntagsschulen zwei Aufgaben: sie dienten „der Qualifizierung für die moderne Gesellschaft und der sozialen Integration und ersetzten zum Teil soziale und bildungsmäßige Funktionen, die auf Grund differenzierter Arbeitsprozesse von den Eltern, aber auch von den Meisterfamilien nicht mehr wahrgenommen wurden." (Gedrath 2003, 363)

V. Gedrath hat in seiner Dissertation (2003) die lokale Ausbildung der Sonntagsschulen in Duisburg detailreich und quellengesättigt herausgearbeitet. Zu den dokumentierten Funden zählt auch die Satzung des Sonntagsschul-Vereins von 1835. Die zentralen Paragraphen darin lauten:

Quelle:

§1 Der Zweck des Vereins ist die sittliche, geistige und gewerbliche Förderung des Standes der Handwerker und Fabrikarbeiter in hiesiger Stadt.

§2 Diesen Zweck sucht der Verein zu erreichen durch Sicherung und Förderung der bestehenden Sonntagsschule.

§3 Als Aufgabe der Sonntagsschule betrachtet der Verein, jungen Leuten aus dem Stande der Handwerker und Fabrikarbeiter Gelegenheit zu geben, in früher vernachlässigten, für einen jeden notwendigen Elementar-Unterrichts-Gegenständen sich weiter zu bilden; sodann aber auch, die für ihren jetzigen oder künftigen Stand oder Beruf erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten sich erwerben.

§4 Die Sonntagsschule in ihren jetzigen Beschränkungen setzt eine Grundlage in der Elementarbildung voraus, und ist mehr oder weniger eine Anstalt für Erwachsene. Sie nimmt keine Zöglinge auf, die das Alter von 14 ½ Jahren noch nicht erreicht haben. Von dieser Regel soll nur in dringenden Fällen eine Ausnahme gemacht werden.

§5 Der Unterricht in der Sonntagsschule ist für Zöglinge derselben unentgeltlich; die Materialien zum Lernen werden aber nur nachweisbar Bedürftigen umsonst gegeben, verbleiben aber nach deren Abgange, soweit sie noch vorhanden sind, der Schule.

§6 Das Bestehen und Gedeihen der Schule sucht der Verein außerdem noch zu befördern dadurch,

  • Dass er von der jedesmaligen Anzahl der jungen Handwerker und Fabrikarbeiter hiesiger Stadt sich in Kenntnis zu setzen sucht;
  • Dass er diese, sowie auch ihre Meister und Brodherren auf das Zweckmässige und Nützliche des Instituts der Sonntagsschule aufmerksam macht;
  • Dass er die Zöglinge der Schule auch ausserhalb der Schulzeit in ihren verschiedenen Lebensverhältnissen und mit ihrem ganzen Lebenswandel beaufsichtigt...“ (zitiert nach Gedrath 2003, 354)

In einer zeitgenössischen Quelle lassen sich folgende Inhalte, Merkmale und Abläufe der S. finden:

„Die hiesige Sonntagsschule gehört zu denjenigen Anstalten, in welchen Handwerks-Lehrlinge u. Gesellen in Lesen, Schreiben, Rechnen, Geometrie, Zeichnen, Modellieren weiter gefördert werden. Die Tagesstunden, an welchen unterrichtet wird, sind Sonntags von 6-9 Morgens, wofür im Winter die Stunden von 8-9 und 11-12 Morgens 6-7 Abends eintreten, außerdem Montags- und Donnerstags von ½ 9 – ½ 10 Uhr Abends. Angemeldet waren im abgelaufenen Jahr 50 Schüler. Die höchste Zahl der wirklich [erscheinenden] beläuft sich nach Angaben der betreffenden Lehrer auf 45. An dem Zeichenunterricht nehmen 21 theil...[der] Verhältnisse der jungen Leute wegen [konnte} der Besuch nicht immer regelmäßig seyn.“ (zitiert nach Gedrath 2003, 373-374)

Archive:

Stadtarchiv Duisburg, Matrikel/Bestand: 10/22276; 10/2278; 10/3968; 10/3969; 10/3983; 10/3984; 10/4278-4287; 10/4350; 92/684; 307/134; 400/817

Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Matrikel/Bestand, Regierung Düsseldorf: 1641; 1642

Literatur:

Gedrath, Volker (2003): Vergessene Traditionen der Sozialpädagogik. Weinheim

Meyers Conversationslexiikon (1850): Sonntagsschule. Leipzig

Preusker, Karl Benjamin(1832): Nachricht von dem Fortgang und der jetzigen Einrichtung der Sonntagsschule (Jahresbericht vom Sonntagsschul-Verein) und dem Gewerbevereine. Großenhain

Preusker, Karl Benjamin (1835): Andeutungen über Sonntags,- Real- und Gewerbeschulen, Cameralstudium, Bibliotheken, Vereine. Leipzig

Preusker, Karl Benjamin (1855) Historischer Überblick der gewerblichen Sonntagsschule zu Großenhain. Großenhain

Preusker, Karl Benjamin (1871): Lebensbild eines Volksbildungsfreundes (hrsg. von H. Ernst Stötzner). Leipzig

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Klaus Heuer