DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Zweierlei Herausforderung

Die Wissenschaft von der Weiterbildung angesichts der Qualitätsdebatte

Christiane Schiersmann

Dr. Christiane Schiersmann ist Professorin für Erwachsenenbildung an der Universität Heidelberg und Vorsitzende der „Konzertierten Aktion Weiterbildung"

Die Wissenschaft von der Weiterbildung sieht sich in zweierlei Hinsicht durch die Qualitätsdebatte gefordert: Sie muss Kriterien entwickeln, die Qualitätsmodelle vergleichbar und aufeinander beziehbar machen. Zweitens muss sie nachdrücklicher fragen, was das Spezifikum pädagogischer Qualität sein könnte. - Der Ruf nach stärkerer Einmischung kommt aus den eigenen Reihen und wird hier von der Heidelberger Professorin Christiane Schiersmann entfaltet.

Abstract
Striving for quality is at the core of pedagogical professionalism. Therefore the science of further education has to intervene in the quality discussion in two ways: Firstly, it must develop criteria by which systems of quality assurance can be compared and by which their appropriateness for the sector of further education can be evaluated. Secondly, it must inquire yet more persistently into the specifics of pedagogical quality and find out what further education science can contribute towards qualitative excellence in the design of learning environments

Der Rückblick auf die letzten zehn Jahre zeigt, dass die Qualitätsdebatte nicht bloß ein Modethema war. Schon für die Weimarer Republik lassen sich entsprechende Anstrengungen der Erwachsenenbildung nachweisen. Neu an der aktuellen Qualitätsdebatte sind aus meiner Sicht die Systematik und Kontinuität von Qualitätsentwicklung sowie der Einbezug organisationsbezogener Dimensionen über das pädagogische Geschehen im engeren Sinne hinaus. Das Thema „Qualität" wird uns auch zukünftig beschäftigen. Hierfür lassen sich verschiedene Gründe anführen:

Ich möchte im Folgenden an Letzteren anknüpfen. Einen Grund für die ungebrochene Relevanz des Qualitätsthemas sehe ich in der Tatsache, dass das Bemühen um Qualität eigentlich den Kern pädagogischer Professionalität trifft. Dies bedeutet auch, dass sich die Wissenschaft von der Erwachsenenbildung in zweierlei Hinsicht stärker in die Qualitätsdebatte einmischen sollte. Sie muss erstens Kriterien entwickeln, die Qualitätsmodelle vergleichbar und aufeinander beziehbar machen, und diese Kriterien aus der eigenen Theorie fundieren. Ziel ist ein Strukturmodell für die Analyse von Qualitätskonzepten. Zweitens muss sie den Fokus wieder stärker auf die Frage richten, was das Spezifikum pädagogischer Qualität sein könnte und welche inhaltlichen Aussagen sie zur qualitativ anspruchsvollen Gestaltung von Lernumgebungen beisteuern kann.

1. Strukturmodell für die Analyse von Qualitätskonzepten

Die derzeit beobachtbare Einholung des Organisationsbezugs soll durch Qualitätskonzepte - seien es DIN ISO, das Modell der European Foundation for Quality Management (EFQM), Gütesiegelkonzepte oder die Balanced Scorecard (BSC) - gewährleistet werden. Bei diesen Konzepten steht in der Regel die Anbieterseite als Garant für Qualität im Vordergrund. Einige andere Ansätze wie die Checklisten für potenzielle Teilnehmer oder neuerdings die Kursüberprüfung durch die Stiftung Warentest setzen demgegenüber beim Verbraucher an.

Die Diskussion der letzten Jahre hat sich sehr stark auf die Verbreitung und Implementation dieser Konzepte im Sinne der Etablierung eines umfassenden Qualitätsmanagements konzentriert. Diese Diskussion scheint mir insofern in gewisser Weise an ein vorläufiges Ende zu gelangen, als sich zeigt, dass sich durch die verschiedenen Überarbeitungszyklen die auf die Institutionen bezogenen Modelle zum Qualitätsmanagement verstärkt aneinander angleichen. Weitgehende Übereinstimmung besteht darin, dass ein umfassendes Qualitätsmanagement über bisherige Evaluationskonzepte hinaus, die sich stark auf die Bewertung des pädagogischen Geschehens im engeren Sinne konzentrierten, die gesamte Organisation in den Prozess der Analyse einbeziehen muss. Ob dies anhand der Kriterien der ISO- Normen, des EFQM-Modells oder der Balanced Score Card geschieht, wird dabei eher zweitrangig.

Ein aus meiner Sicht zweites Essential der Diskussion besteht in der generellen Einschätzung, dass die eigentliche Qualitätsverbesserung erst durch konkrete Veränderungsstrategien zu erreichen ist, die auf der Basis einer wie auch immer ausgestalteten Stärken-Schwächen-Analyse erfolgen. Allerdings ist hier die Verständigung über Strategien und Instrumente weit weniger elaboriert.

Wenngleich sich aus meiner Sicht die Konzepte des Qualitätsmanagements aufeinander zu bewegen, so ist doch nicht damit zu rechnen, dass sich zukünftig alle Weiterbildungseinrichtungen auf den Einsatz eines gemeinsamen Konzepts einigen werden. Dies erscheint mir auch gar nicht notwendig oder unbedingt erstrebenswert. Um so wichtiger ist die Herausforderung, sich auf Dimensionen zu einigen, die eine Vergleichbarkeit der Konzepte ermöglichen und deren Angemessenheit für den Bereich der Weiterbildung überprüfbar machen (vgl. Meisel 2002). Hierzu kann und sollte die Wissenschaft von der Weiterbildung Hilfestellung bieten. Es kann dabei nicht darum gehen, ein bestimmtes Modell als Referenzmodell zugrunde zu legen, sondern es müssen quer zu den Modellen Kriterien herausgearbeitet werden, die sich zur Beurteilung der Angemessenheit eines Qualitätsmodells z. B. im Hinblick auf geplante Zertifizierungen oder Akkreditierungen eignen. Dies muss unter Rückgriff auf pädagogische und organisationsbezogene Konzepte erfolgen. Ich kann hierzu nur erste Ideen andeuten:

Könnten Überlegungen in diese Richtung theoretisch weiter fundiert werden und würden sich die verschiedenen Träger bzw. Einrichtungen der Weiterbildung darauf verständigen, dann wären wir in Sachen Qualitätsentwicklung einen Schritt weiter und könnten bei prinzipieller Offenheit in Bezug auf die Anwendung bestimmter Modelle einen hohen qualitativen Standard gewährleisten und eine zukunftsgerichtete Qualitätspolitik entwickeln.

2. Inhaltliche Dimensionen von pädagogischer Qualität

Angesichts des aktuellen Standes der Qualitätsdebatte erscheint es mir wichtig, daran zu erinnern, dass Qualitätsmanagement keinen Selbstzweck darstellt (darstellen sollte), sondern ein Instrumentarium anbietet, das die Intention unterstützen soll, gelungene - neuerdings im Sprachgebrauch einiger Kollegen (vgl. Mader 2001; Arnold u. a. 2000) auch nachhaltige - Lern- bzw. Bildungsprozesse zu ermöglichen. Damit wird eine große Nähe deutlich zwischen der Qualitätsdebatte und den Zielen und Inhalten der Wissenschaft von der Weiterbildung, die im Sinne einer handlungsorientierten Wissenschaft ebenfalls das Ziel verfolgt, Bedingungen erfolgreicher Lernprozesse zu untersuchen.

Die Qualitätsdebatte fordert an vielen Stellen die Wissenschaft heraus - einige will ich schlaglichtartig benennen. Die wissenschaftliche Bearbeitung dieser Fragestellungen könnte noch stärker, als das bislang geschieht, die Qualitätsdebatte inhaltlich unterfüttern. Die beiden Diskurse sind zu wenig aufeinander bezogen. Gerade nachdem wir uns in den letzten Jahren stark auf die strategischen Ansätze der Implementation des Qualitätsmanagements konzentriert haben, könnte der
Fokus jetzt wieder darauf gerichtet werden, was denn die Profession unter guter Qualität versteht.

Zunächst stellt sich bei Bildungsprozessen, bei denen es sich im betriebswirtschaftlichen Sinne um Dienstleistungen handelt, die Frage nach der Qualität in spezifischer Weise. Die Besonderheit aller personenbezogenen Dienstleistungen besteht darin, dass die Kunden - hier: die Teilnehmenden - mehr oder weniger intensiv an der Herstellung des „Produktes" - hier Bildung - beteiligt sind. Die „Kunden" sind bei der Herstellung des Produkts in der Regel anwesend und darüber hinaus daran aktiv beteiligt; ohne sie entsteht kein fertiges „Produkt". Dies bedeutet, dass die Qualität oder der Erfolg organisierter pädagogischer Prozesse entscheidend von der Interaktion zwischen „Hersteller" und „Verbraucher" abhängt. Sind die Teilnehmenden nicht motiviert oder verweigern sie die Mitarbeit, wird Lernen nicht stattfinden. Zugleich fallen „Produktion" und „Konsumtion" der Dienstleistung räumlich und zeitlich weitgehend zusammen. Kommunikation und Verständigung stellen Form und Inhalt der Arbeit dar.

Diese Überlegungen haben nachhaltige Konsequenzen für die Definition von Qualität in der pädagogischen Praxis. Arnold u. a. (2000, S. 18) sprechen in diesem Zusammenhang von einer doppelten oder „gebrochenen" Zielperspektive: Zwar gibt es Zielsetzungen wie die Vermittlung von Wissen oder die Erziehung zu Werthaltungen, jedoch können diese nur nachhaltig erreicht werden, wenn es gelingt, die Dispositionen des Subjekts bzw. seine Persönlichkeitsentwicklung zu befördern. Daher „reduziert" sich die Beeinflussungsmöglichkeit von Pädagog/innen darauf, durch die Bereitstellung möglichst optimaler (Rahmen-)Bedingungen von Lernprozessen entsprechende Veränderungsprozesse zu ermöglichen. Auch aus systemtheoretischer Sicht sind lernende Subjekte als selbstreferentielle, geschlossene Systeme zu verstehen. Deren Entwicklung kann zwar von außen „gestört" oder „pertubiert" werden, jedoch lassen sich die erzielten Ergebnisse nicht alleine und vielleicht noch nicht einmal in erster Linie auf die Qualität professioneller Intervention zurückführen (ebd.). Pädagogische Qualität ist somit keine Beschaffenheit des Produktes Bildung, sondern entsteht aus dem Zusammenspiel einer qualitativ hochwertigen Lernumgebung und der Bereitschaft der Subjekte, sich aktiv auf diese einzulassen.

In Bezug auf die Herstellung geeigneter Lernumgebungen in einem weit gefassten Sinne lassen sich die folgenden drei Ebenen, die auch bei der Ausgestaltung der verschiedenen Qualitätsmanagementkonzepte eine Rolle spielen, analytisch ausdifferenzieren. Sie verdeutlichen zugleich den intensiven Rückbezug auf den wissenschaftlichen Diskurs:

1) Qualität der Lehr-/Lernprozesse einschließlich der Lerninfrastruktur

Die Diskussion um die Gestaltung der Lernsituation im engeren Sinne wird aktuell unter den Schlagworten informelles, arbeitsbegleitendes und mediengestütztes Lernen geführt und kann hier nicht weiter inhaltlich verfolgt werden (vgl. Schiersmann/Remmele 2002). Bislang sind diese „neuen" Lernarrangements jedoch kaum unter dem Gesichtspunkt der pädagogischen Qualität analysiert worden. Eher vollmundig wird in vielen Publikationen derzeit die Güte bzw. der Vorteil dieser neuen Lernarrangements gepriesen bzw. per se unterstellt. Welche Voraussetzungen aber gegeben sein müssen, um unter informellen Lernumgebungen nachhaltige Lernprozesse zu initiieren, oder ob im Arbeitsprozess z. B. im Hinblick auf Gesichtspunkte wie Zeit oder Abstand von unmittelbarem Handlungsdruck die erforderlichen Voraussetzungen für erfolgreiches Lernen gegeben sind, ist weithin ungeklärt. Gleiches gilt für mediengestütztes, insbesondere netzbasiertes Lernen. Der Euphorie folgt auch in diesem Feld langsam die Ernüchterung, derzufolge netzbasierte Lernangebote in der Regel nur im Kontext komplexer Lernarrangements, in denen auch der persönliche Austausch eine zentrale Rolle spielt, einen pädagogischen Mehrwert bieten. In diesen Punkten den Einrichtungen, die an der Verbesserung ihrer Qualität arbeiten, handlungsrelevante Kriterien und Forschungsergebnisse zu liefern, stellt eine zentrale Herausforderung an die Wissenschaft dar.

Gleiches kann im Hinblick auf die Lerninfrastruktur gesagt werden und wird hier nur exemplarisch für den Bereich der Beratung skizziert: Welche Formen von lernbegleitender Beratung sinnvoll und erforderlich sind, ist weitgehend ungeklärt, auch wenn die Forderung nach Ausbau der Beratung in jedem aktuellen bildungspolitischen Dokument zu finden ist. Wer fragt Beratung nach, bei welchen Themen oder Aufgabenbereichen wird sie besonders häufig in Anspruch genommen, wie lässt sich ein Konzept reflexiver Lernberatung umsetzen und welche Kompetenzen benötigen die Dozent/innen oder Berater/innen für dieses Aufgabenfeld? Dies alles sind für die Entwicklung von Qualität dringend zu beantwortende Fragen.

2) Qualität der organisationalen Dimension

Die zweite und neue Ebene der Qualitätskonzepte bezieht sich auf die Organisation bzw. Institution, ihre Strukturen, ihre Kultur, ihre Abläufe und Schlüsselprozesse. Dies verweist uns auf die Institutionenforschung, die in der Erwachsenenbildung bislang als vergleichsweise besonders wenig entwickelt charakterisiert werden kann (vgl. Arnold u. a. 2000). Mit Hilfe allgemeiner Kriterien, die zur Erforschung von Institutionen herangezogen werden können, sollte hier beispielsweise den Folgen der für Weiterbildungseinrichtungen typischen Personalstruktur nachgegangen werden - mit ihrer kleinen Zahl von hauptberuflichen und einer großen Zahl von freiberuflich tätigen Arbeitskräften. Unter welchen Rahmenbedingungen, mit welchen Ressourcen, in welchen Organisationsformen und mit welchen Aufgabenzuschnitten können Weiterbildungseinrichtungen ihre Ziele optimal erreichen? Wie wird das Spannungsverhältnis zwischen der Orientierung an pädagogischen Zielen und der notwendigen
Marktorientierung ausbalanciert? Welche Rolle spielen Konkurrenzen für die Ausgestaltung des jeweiligen Profils von Weiterbildungseinrichtungen? Welchen Gewinn erbringen welche Formen der Vernetzung unter welchen Voraussetzungen (vgl. Schiersmann 2000)? Wie wird die Balance erzeugt zwischen der am Markt vorhandenen Konkurrenz und der allseits geforderten regionalen Kooperation und Vernetzung (vgl. Schiersmann/Thiel 2000, S. 22ff.). Wie verarbeiten Weiterbildungseinrichtungen den hohen Veränderungsdruck, dem sie neuerdings ausgesetzt sind, welche Reichweite haben die Veränderungsstrategien (vgl. Arnold u. a. 2000, S. 22)? Wie wird das Verhältnis von Stabilität und Veränderung ausbalanciert? Hierzu Forschungsergebnisse vorlegen zu können, würde die Einrichtungen nachhaltig bei der Entwicklung von Qualitätsentwicklungsstrategien unterstützen.

3) Qualität gesellschaftspolitischer Rahmenbedingungen

Schließlich beeinflussen auch die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen die Ausgestaltung der Qualitätspolitik in den Weiterbildungseinrichtungen. Welche Rolle spielen Förderungsströme und Finanzierungsquellen für die Ausgestaltung des Angebotsprofils sowie für die jeweilige Position am Markt? Auf welche Bereiche sollte sich öffentliche Förderung zukünftig konzentrieren, welche können der Marktdynamik überlassen bleiben?

Diese exemplarischen Fragestellungen können andeuten, an welchen Punkten zukünftig der Qualitätsdiskurs und die inhaltliche Diskussion der Wissenschaft von der Erwachsenenbildung näher aufeinander zu beziehen wären, um so auch von dieser Seite her Qualitätsentwicklung nachhaltig zu unterstützen.

Literatur

Arnold, R. u. a. (2000): Forschungsmemorandum für die Erwachsenen- und Weiterbildung. Im Auftrag der Sektion Erwachsenenbildung der DGfE. Frankfurt/M.: DIE

Arnold, R./Faber, K. (2000): Qualität entwickeln - aber wie? Qualitätssysteme und ihre Relevanz für die Schule. Einführung und Überblick. Seelze

Mader, W. (2001): Forschungsbedarf zur Erwachsenenbildung: Zum Kontext des Forschungsmemorandums für die Erwachsenen- und Weiterbildung. In: Ambos, I.: Forschung zur Erwachsenenbildung. Sonderbeilage zum Report. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag

Meisel, K. (2002): Teilnehmerschutz versus Anbieterqualität. In: Konzertierte Aktion Weiterbildung (Hrsg.): Qualitätsentwicklung in der Weiterbildung - politischer Handlungsbedarf. Bonn (im Druck)

Schiersmann, Ch. (2000): Chancen und Grenzen von Kooperation und Vernetzung. In: DVV-magazin, H. 3, S. 11f.

Schiersmann, Ch./Thiel, H.-U. (2000): Projektmanagement als organisationales Lernen. Ein Studien- und Werkbuch (nicht nur) für den pädagogisch-sozialen Bereich. Opladen: Leske & Budrich Verlag

Schiersmann, Ch./Remmele, H. (2002): Formalisierte und nicht formalisierte Lernprozesse in Betrieben - theoretische Bezüge und empirische Befunde. Quem-Report. (im Druck)


Deutsches Institut für Erwachsenenbildung
Juli 2002

Christiane Schiersmann, Zweierlei Herausforderung. Online im Internet:
URL: http://www.diezeitschrift.de/32002/positionen1.htm
Dokument aus dem Internetservice Texte online des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung
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