Potenzialorientierte Organisationsentwicklung und -beratung
Marita Kemper / Michael Wacker
Die Frage nach der Zukunft der Weiterbildung bewegt heute im besonderen Maße die Köpfe von Führungskräften und Mitarbeiter/innen von Weiterbildungseinrichtungen. In der arbeitsmarktpolitischen Wende, die ihrerseits eingebunden ist in eine gesellschaftliche Umbruchsituation, wird ihnen eine neue gesellschaftliche Funktion zugewiesen, die das professionelle und institutionelle Selbstverständnis in Frage stellt. Sich Veränderungsanforderungen zu stellen ist für die Dienstleister des Lernens nicht neu, neu sind die Dimensionen, die Geschwindigkeit, die Unplanbarkeit und Dynamik: Wer sich zu viel Zeit für den Wandel nimmt, überlebt die "Umweltveränderungen" nicht, wer ihn zu schnell vollzieht, beherrscht ihn nicht.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat im Rahmen des Projektschwerpunktes »Lernen in und von Weiterbildungseinrichtungen« (LIWE) zwölf Projekte mit der Entwicklung von Musterstrategien zur Förderung der Innovationsfähigkeit von Weiterbildungseinrichtungen beauftragt. Autor und Autorin arbeiten in diesem Kontext seit 2001 als interner Berater und externe Beraterin der Weiterbildungseinrichtung Werkstatt im Kreis Unna GmbH (WiKU).
Die aktuellen Umweltveränderungen provozieren in den Einrichtungen eine Vielzahl von Veränderungs- und Entwicklungsvorhaben, die gleichzeitig zur Bearbeitung anstehen – so auch in der WIKU. Es geht um die Zukunft und um die Rolle als Bildungsanbieter in der Region, das Ausloten von Selbstbestimmungs- und Gestaltungsmöglichkeiten, die strategische Steuerung von Prozessen, die Sicherung von tragfähigen Finanzierungs- und Organisationsmodellen und nicht zuletzt darum, Bedingungen für die eigene Lern- und Innovationsfähigkeit zu schaffen.
Der Spagat zwischen pragmatischem, zeitnahem Entscheiden und Handeln auf der einen Seite und einer vorausschauenden Orientierung und Vorbereitung auf sich verändernde Aufgaben andererseits beschreibt die Anforderungen einer gemeinsam von Leitungsteam, Mitarbeiter/innen und Berater/innen getragenen Entwicklungsarbeit. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt: Wie kann es gelingen, dass Innovationsleistungen nicht immer wieder als neue, mit großen persönlichen und strukturellen Anpassungszumutungen verbundene Herausforderungen erlebt werden?
In der Projektpraxis sind ein Verständnis und ein "Vermögen" von Organisationsentwicklung gewachsen, das wir "Potenzialorientierte Organisationsentwicklung und -beratung" nennen. Ein unverwechselbares Merkmal dieser Arbeitsweise ist es, dass a nstehende Aufgaben (wie beispielsweise in der Produktentwicklung) Ansatz- und Ausgangspunkt für gemeinsames Lernen, Entwicklung und Gestaltung sind. Unsere Praxis zeigt, dass viele Aufgaben und Anforderungen nicht mit vorhandenen abteilungsbezogenen Organisationsstrukturen, routinierten Abläufen und Zuständigkeiten zu bearbeiten sind. Deshalb werden neue stimmige und tragfähige Arbeitsstrukturen und -modelle "gebaut". Entlang der unmittelbaren Arbeitsanforderungen ist so eine Arbeits- und Lernarchitektur entstanden, die heute in der WiKU die bestehende Linienorganisation ergänzt und erweitert. Abteilungsübergreifende Projekt- und Produktteams arbeiten u.a. an der Entwicklung von Qualifizierungsbausteinen oder Bewerbungsmodulen, im Kooperationsnetz "Vermittlung" geht es um eine Effektivitätssteigerung der Arbeit und die Entwicklung einer gemeinsamen Vermittlungssoftware. Das Arbeitsprinzip der Verantwortungsteilung zwischen Mitarbeiter/innen und Leitung ist in diesen Arbeitsteams genauso verankert, wie in einem internen Lernnetzwerk "Voneinander und Miteinander Lernen".
Unsere Praxis zeigt:
Lernnetze, Arbeitsforen und Organisationsstrukturen, die sich für die Beteiligten und die Organisation als "nützlich" herausstellen – wenn Ergebnisse sichtbar und spürbar sind – etablieren und entwickeln sich weiter und haben eine nachhaltige, kultur- und strukturprägende Wirkung.
Innovation steht so nicht nur für neue Produkte, sondern auch – und vor allem – für neue Denkweisen, einen neuen Blick auf vorhandene Potenziale, Routinen, Formen und Kulturen des Lernens, Strukturen und Steuerungsmodelle.
Strategietagungen sind im Entwicklungsprozess der Ort und das Instrument des Führungsteams, um neue Strategieimpulse gemeinsam (weiter) zu entwickeln, zu vereinbaren und die Beteiligungsaktivitäten von Beginn an wirkungsvoll in die Organisationsentwicklung einzubinden.
Die Gestaltungs-, Veränderungs- und Selbstorganisationskraft der potenzialorientierten Organisationsentwicklung zieht sie aus der Verzahnung von personalen und strukturellen Potenzialen.
Das hier nur kurz skizzierte Praxismodell der "Potenzialorientierten Organisationsentwicklung" ist verschiedenen "Belastungstests" unterzogen worden: Arbeits- und Lernarchitekturen haben sich entlang der Anforderungen entwickelt, wieder verändert und etabliert, Instrumente und Arbeitsprinzipien haben sich so als tragfähig herausgebildet. Sukzessive kristallisieren sich Gestaltungsmerkmale einer zukunftsfähigen Weiterbildungsorganisation heraus, die Orientierung und Impulse für interne Innovationsprozesse und eine begleitende interne und externe Beratung geben. Es ist ein Pfad entstanden, auf dem es sich auch für andere lohnt, weiter zu gehen, um sich selbst wiederum eigene Pfade zu erschließen.
Zentrale Ergebnisse werden zurzeit für eine abschließende Veröffentlichung vorbereitet.
Kontakt und weitere Informationen:
Das Projekt ist gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie Mitteln des europäischen Sozialfonds.