DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Validierung - Robustmacher aus Brüssel

Susanne Lattke

Mit diesem Text setzt die DIE Zeitschrift ihre lockere Folge von »Glossar«-Einträgen fort, die in der Ausgabe II/2006 (S. 45–47) mit G. Wolfs Beitrag zur »Valorisation« begonnen wurde. Nun also die »Validierung« – ein durchaus verschwisterter Begriff des EU-Bildungsjargons: Was der formalen Bildung die »Zertifizierung« ist, soll der informellen Bildung die »Validierung« sein. Oder sogar noch mehr...

Die »Validierung«! Wer in den letzten Jahren die Verlautbarungen und Aktivitäten der Europäischen Union zum lebenslangen Lernen verfolgt hat, begegnet ihr auf Schritt und Tritt. Die Förderung von Validierung – zu ergänzen: nicht formalen und informellen Lernens – bildet eines der prioritären Handlungsfelder im bildungspolitischen Arbeitsprogramm der EU. Im Mai 2004 widmete der EU-Ministerrat dem Thema gar eigene Schlussfolgerungen, in denen »gemeinsame europäische Grundsätze« für die Validierung formuliert wurden. Aber nicht nur auf EU-Ebene, auch in etlichen europäischen Ländern kommt dem Begriff der Validierung bzw. seinen nationalsprachlichen Pendants (engl./frz.: validation, dän./schwed.: validering) eine durchaus prominente Rolle im bildungspolitischen Diskurs zu.

Verfolgt man dagegen die Literatur in Deutschland, so scheint der Terminus eher das Dasein eines ungeliebten Fremdworts zu führen, das – wenn es denn überhaupt Verwendung findet – auch gern mal in Anführungszeichen gesetzt wird (z.B. Becker 2006, S. 7). Informelles Lernen oder informell erworbene Kompetenzen werden hier ungern, so scheint es, »validiert«, sie werden lediglich »anerkannt« und/oder »zertifiziert«.

»Lediglich« deshalb, weil »Validierung« in den anderen Ländern oder auf EU-Ebene nicht an die Stelle von Begriffen wie Anerkennung und Zertifizierung tritt, sondern zusätzlich zu ihnen verwendet wird. Dieser Umstand legt die Vermutung nahe, dass »Validierung« eine Bedeutung transportiert, die von den konkurrierenden Begriffen nicht oder nicht in dieser spezifischen Form abgedeckt wird. Es lohnt sich daher, der »Validierung« etwas genauer nachzuspüren.

Etymologisch lässt sich eine Verbindung vom Wort Validierung zum lateinischen Adjektiv validus (stark, robust, wirksam) bzw. dem entsprechenden Verb valere (stark, kräftig, gesund sein) herstellen. Auf die gleiche Wurzel gehen die Wörter zurück, die in den romanischen Sprachen einen Wert bezeichnen (frz.: valeur, it.: valore etc.), während das deutsche Wort »Wert« auf eine indogermanische Wurzel mit der Bedeutung »wenden, drehen« zurückzuführen ist. Validierung lässt sich vor diesem Hintergrund also interpretieren als ein Prozess, durch den einer Sache Robustheit oder Wert verliehen wird.

»Robustheit oder Wert verleihen«

Außerhalb des Bildungsbereichs ist Validierung in verschiedenen Bereichen von Industrie und Forschung ein gängiger Begriff. In der Pharma- und Biotechnologieindustrie wird mit Validierung der dokumentierte Beweis erbracht, dass ein Produktionsverfahren oder -system im praktischen Einsatz die vorher spezifizierten Anforderungen und Qualitätskriterien erfüllt und jederzeit die verlangten Ergebnisse erbringt. In der Statistik und Informatik bezeichnet Validierung eine Gültigkeitsprüfung von Testverfahren bzw. eine Plausibilitätsprüfung von ermittelten Werten. In der qualitativen Sozialforschung ist die kommunikative Validierung ein Verfahren zur Überprüfung von Forschungsergebnissen, bei dem diese Ergebnisse den Untersuchungspersonen selbst zur Prüfung ihrer Richtigkeit vorgelegt und mit ihnen diskutiert werden. Allgemein gesprochen lässt sich Validierung als ein Verfahren bezeichnen, bei dem etwas (ein Prozesses, ein Produkt, eine These etc.) daraufhin überprüft wird, ob es zuvor festgelegten, Kriterien, Regeln oder Standards genügt – oder unter Rückgriff auf die etymologisch Herkunft gesagt: ob es »robust« genug ist, diesen standzuhalten.

Wie sieht es nun im Bildungsbereich mit der Validierung aus? Bei der Suche auf EU-Ebene fällt zunächst auf, dass Definitionen in vielen Dokumenten fehlen. Oft wird der Begriff ohne weitere Erklärung als selbstverständlich vorausgesetzt. Auch die erwähnten »Gemeinsamen europäischen Prinzipien« teilen nicht mit, was Validierung eigentlich ist. Sie kreisen den Begriff definitorisch lediglich ein, indem angeführt wird, worauf Validierung beruht (auf der Bewertung der Lernergebnisse einer Einzelperson), und wozu sie führen kann (zur Ausstellung eines Zeugnisses oder Diploms).

Fündig wird man auf der Suche nach klaren Definitionen schließlich dennoch. In einem jüngeren Konsultationsdokument (Europäische Kommission 2005), teilt die Kommission im Glossaranhang mit, wie sie Validierung verstanden wissen will: »Validierung (nicht formalen und informellen Lernens): Der Vorgang der Bewertung und der Anerkennung eines ganzen Spektrums von Wissen, Know-how, Fertigkeiten und Kompetenzen, die Personen im Laufe ihres Lebens in unterschiedlichen Zusammenhängen, z.B. durch Bildung, bei der Arbeit und in der Freizeit, erworben haben.«

»Validiert werden Produkte eines Lernprozesses.«

Gegenstand der Validierung im Bildungsbereich sind also keine Verfahren, Thesen oder Daten, sondern die Ergebnisse, die »Produkte«, die am Ende eines Lernprozesses entstanden sind. Die auch in der angeführten Definition anzutreffende gängige Begriffskoppelung grenzt den Gegenstand weiter ein: Es geht um die Validierung von Kompetenzen oder Lernergebnissen, die im Rahmen von sog. non-formalen (wahlweise: nicht formalen) oder informellen Lernprozessen erworben wurden. Im Gegensatz zu den im Rahmen von formalen Lernprozessen erworbenen Kompetenzen finden solche Lernergebnisse nicht unbedingt Niederschlag in Dokumenten, erst recht nicht in Dokumenten von formalrechtlicher Relevanz. Zu einem beträchtlichen Teil sind diese Kompetenzen somit „unsichtbar“ – für ihre Besitzer möglicherweise ebenso wie für Dritte; sie sind dadurch nicht optimal verwertbar und insbesondere mit Blick auf zu erwerbende Zugangsberechtigungen bedeutungslos.

In einer Wissensgesellschaft, in der lebenslanges Lernen bereits zur allgemeinen Pflicht gworden ist, so nun die bildungspolitische Argumentation, ist eine derartige „Verschwendung“ von Kompetenzen nicht tragbar. Teile vorhandener Kompetenzressourcen brachliegen zu lassen, können sich im globalen Wettbewerb weder ihre Besitzer, die Individuen, noch die Gesellschaft oder die Wirtschaft leisten. Mit der „Validierung“ vorhandener Lernergebnisse und Kompetenzen soll diesem Missstand entgegengewirkt werden.

Die Bedeutung des Begriffs Validierung, so wie er im Bildungsdiskurs verwendet wird, changiert dabei zwischen der Bezeichnung eines konkreten Verfahrens der Überprüfung von Lernergebnissen einerseits und der Bezeichnung eines abstrakten Prozesses der Wertverleihung andererseits, bei dem den vorhandenen Lernergebnissen zu einem neuen oder zusätzlichen Wert verholfen wird. Beim Versuch, zentrale Aspekte des Konzepts Validierung zusammenzustellen ist es daher hilfreich, zwischen einer konkreten Verfahrensebene und einer abstrakten Wirkungsebene zu unterscheiden.

Auf der Verfahrensebene umfasst die Validierung mehrere Elemente (vgl. Abb. 1), wobei im Einzelfall nicht jedes dieser Elemente enthalten sein muss. Die konkreten Ausprägungen von Validierungsverfahren variieren zwischen den Ländern Europas ebenso wie innerhalb der Länder erheblich.

»Verwertbarkeit von Kompetenzen«

Auf der Wirkungsebene von Validierung, die über diese konkreten Handlungselemente hinausweist, ist der Aspekt der Wertverleihung zentral. Durch das Validierungsverfahren wird der potentielle Nutzen vorhandener Lernergebnisse für ihren Besitzer gesteigert; sei es dass dieser ein stärkeres Selbstbewusstsein oder höhere soziale Anerkennung erlangt, sei es dass sich die konkrete Verwertbarkeit[1] der Kompetenzen steigert, indem sich etwa ihr Tauschwert auf dem Arbeitsmarkt erhöht (vgl. Furrer 2005, S. 39f.) oder ihr Besitzer formale Zugangsberechtigungen zu Bildungsgängen und Berufstätigkeiten erwirbt. Welcher Art der durch Validierung gewonne Wert ist und welches Ausmaß er erreichen kann, hängt wesentlich von der validierenden Instanz und ihrer rechtlichen wie auch gesellschaftlichen Stellung ab.

Auch wenn Validierung in einzelnen Ländern[2] zu »harten« Zertifikaten führen kann, die denjenigen des formalen Bildungssystems gleichgestellt sind, wird Validierung zumeist eher als informeller Gegenpol zur formalen »Zertifizierung« aufgefasst. Ihre Hauptfunktion besteht dann nicht darin, einen alternativen Weg zum Erwerben von Abschlüssen zu bieten, sondern darin, ein breiteres Spektrum an Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erfassen und zur Nutzung zu erschließen, als es die Abschlüsse des formalen Systems tun (vgl. Colardyn 1996).

Wie sich die Praxis der Validierung somit als Ergänzung zur Praxis der Zertifizierung im formalen System anbietet, so könnte sich mit Bezug auf informelles Lernen der Begriff der Validierung als positiv besetzte Alternative zu einem durch formalistische Konnotationen belasteten Begriff der Zertifizierung anbieten. Gleichwohl – so steht zu vermuten – würde dieWahl dieses Begriffs wenig daran ändern, dass auch »validierte« Kompetenzen eben nicht nur besser erschlossen und verwertet werden, sondern einem sich perspektivisch ebenfalls noch stärker formalisierenden System des Überprüfens und Bescheinigens zugeführt werden.

Abb. 1: Validierung zwischen Verfahrens- und Wirkungsebene

Literatur

Becker, H. (2006): Im Traktorstrahl Europas. Zur Anerkennung nicht-formalen und informellen Lernens. In: Praxis Politische Bildung, H. 1, S. 5–13

Colardyn, D. (1994): Certification of Adult Education. In: Husen, T./Postlethwaite, T.N.: International Encyclopaedia of Education. Oxford, S. 662–665

Europäische Kommission (2005): Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen: Auf dem Weg zu einem europäischen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen. SEK(2005) 957. Brüssel

Furrer, H. (2005): Anerkennung und Validierung von Kompetenzen. In: GdWZ, H. 2, S. 37-40

Rat der Europäischen Union (2004): Entwurf von Schlussfolgerungen des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten zu gemeinsamen europäischen Grundsätzen für die Ermittlung und Validierung von nicht formalen und informellen Lernprozessen. 9600/04 EDUC 118 SOC 253. Brüssel


[1] Für den letztgenannten Aspekt der „Verwertbarkeit“ hat sich im EU-Bildungsjargon mit Bezug auf konkrete Produkte - Kursmodule, Lehrmaterialien, Handbücher etc. - seit einigen Jahren der Begriff „Valorisierung“ etabliert“. Dieser wird mit Bezug auf Kompetenzen jedoch selten verwendet.

[2] In Frankreich hat validation eine präzise, rechtlich abgesicherte Bedeutung. Über das Verfahren einer »validation des acquis de l’expérience« (Validierung der durch Berufserfahrung gewonnenen Kompetenzen) ist es möglich, einen im nationalen Diplomregister eingetragenen Berufsabschluss zu erwerben, ohne zuvor die entsprechenden Ausbildungsgänge und Examen des formalen Bildungssystem absolviert zu haben. Diese Möglichkeit ist als individuelles Recht im französischen Arbeitsrecht festgeschrieben.