Die Celler Landwirtschaftsgesellschaft leistete mit der ökonomischen Aufklärung über die Innovationsmöglichkeiten für arbeitsintensive Feldbaumethoden einen entscheidenden Beitrag zur Behebung der latenten Arbeitslosigkeit unter den besitzschwachen Schichten der frühmodernen Dorfgesellschaft ihrer Region. Ihre Expertise und erfolgreiche Praxis schufen die Voraussetzung für die Lockerung der Gutsherrschaft, die eine wichtige Bedingung für die Wirtschaftsinitiative der Bauern und der Übernahme der Reformvorschläge war.

„Auch der Landmann sollte zur Effektivierung der Landwirtschaft beitragen, indem er sein tradiertes Wissen überprüfte, sich einen rationalen Umgang mit der Natur aneignete und die neuesten Kenntnisse der sich entwickelnden Naturwissenschaften beachtete, kurz: indem er zum homo oeconomicus herausgebildet wurde. Das Ziel war demnach eine Mentalitätsveränderung […]“ (Kissel 2008, 6)

Die Vorstandsmitglieder waren philanthropisch ausgerichtete Großbauern und höhere Beamte des Landesherren. Nach den Vereinsstatuten war der Vereinszweck: die Verbesserung der Landwirtschaft, die Verbesserung der Forsten, Verbesserung der Manufakturen, Verbesserung der Künste, Verbesserung des Handels und das Verbot der Anwendung spekulativer Theorien.

Der Verein war so erfolgreich, weil er es verstand, in dem dynamischen Prozess der Bewältigung einer landwirtschaftlichen Modernisierungskrise, eine fachliche Expertise zu entwickeln, Lernanlässe zu schaffen, Lernaufgaben und Lernerfolge zu induzieren, eine der Gesellschaft wohlgesonnene Öffentlichkeit aufzubauen, Interessenkoalitionen zwischen den unterschiedlichen Interessengruppen, z.B. alt eingesessenen armen Bevölkerungskreisen und Neuankömmlingen zu befördern, aber auch Interessenwidersprüche , z. B. zwischen gutsherrlichen und landesherrlichen Privilegien, auszunutzen.

Die materiellen Aufgaben waren:

  • Die Verbesserung der Melioration der Landwirtschaft
  • die Einführung arbeits- und produktionsintensiver Agrarwirtschaftsmethoden, um die Ausnutzung einheimischer Rohstoffe und Urprodukte zur Verarbeitung im eigenen Lande und um die Vermarktung von Viktualien und Gewerbeprodukten voranzutreiben
  • Arbeitsbeschaffung für Häuslinge und Fabrikanten, die nur einer Gelegenheitsarbeit nachgingen, und entwickelte mithilfe der ihm zur Verfügung gestellten Prämiengelder sowie Hilfsmodelle für arbeitsintensive und absatzfördernde Fertigungsmethoden
  • Verwüstete Meierhöfe wieder nutzbar machen
  • Konflikt zwischen alten Häuslingen und neuen anzusiedelnden Menschen – um Nutzungsrechte an Böden etc.

Was machte der Verein dafür:

  • publizierte ein Periodikum, insbesondere mit Fachbeiträgen zur intensiveren Nutzung in der Agrarwirtschaft
  • überprüfte die Praktikabilität von allgemeinen Vorschlägen in der Region
  • verfügte über Fachexpertise und holte sie ein
  • hielt Fachvorträge ab
  • schrieb Preisausschreiben mit praktischen Anforderungen aus
  • schrieb Prämien aus, z.B. für die Verarbeitung einheimischer Produkte
  • verfasste Memoranden, insbesondere einen Plan zur Gemeinheitsnutzung sowie einen zur Bodenreform
  • führte praktische Experimente, z.B. mit Saatgut aus England, durch
  • führte Detailversuche zur regionalen Anwendung von Adaptionspraktiken für eine moderne Innovationsökonomik durch
  • orientierte sich stark am englischen Vorbild
  • führte Projekte durch, wie zur Gemeinheitsteilung.

In ihrer Zeit waren die landwirtschaftlichen Vereinigungen eine nationale und internationale Erscheinung: So gab es z.B. auch die Society for the Encouragement of Arts, Manufactures and Commerce, gegründet in London 1753; die Society of Improvers in the Knowledge of Agriculture in Scotland, gegründet in Edinborough 1723 und die Société Royale d’agriculture de Paris, gegründet in Paris 1761.

Archive:

Niedersächsisches Landesarchiv Hauptstaatsarchiv Hannover: Hann. 136 Protokolle der Landwirtschaftsgesellschaft in Celle

Literatur

Deike, Ludwig (1994): Die Entstehung der Celler Landwirtschaftsgesellschaft. Hannover

Kissel, Hanna-Verena (2008): Erziehung des Volkes im Jahrhundert der Aufklärung. Das politische Weltbild der populären Schrift der Volksaufklärung. Saarbrücken

 

 

Kurzlink zu dieser Seite:
die-bonn.de/li/592

Klaus Heuer