Januar 1999 bis Dezember 2004

Fragestellung

Wie erfolgt der Umgang mit Wissen im Kontext zweier sozialer Welten vor dem Hintergrund der universellen Institutionalisierung des Pädagogischen?

Projektziel

Das Projekt untersuchte aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive den Umgang mit Wissen in den zwei unter dem Aspekt sozialer Integration und Zukunftswissen stark kontrastierenden sozialen Welten eines Industriedienstleisters und eines Sozialvereins und zwar auf drei Ebenen: der Ebene der Wissensvermittlung, der Ebene der pädagogischen Kommunikation und der Ebene des pädagogischen Wissens. In der ersten Projektphase stand die Analyse des Umgangs mit (feldbezogenem) Wissen im Mittelpunkt. Auf der Grundlage von Interaktionsmitschnitten, Interviews, teilnehmenden Beobachtungsprotokollen und „natürlichen Materialien“, wie etwa Mitarbeiterzeitschriften, wurden Formen der Wissensvermittlung sowie die Einschreibung pädagogischer Kommunikation in diese Wissenskommunikation rekonstruiert. Dabei konnten folgende Formen der Wissensvermittlung unterschieden werden: explizit-intensive Formen, bei denen Wissensvermittlung im Zentrum steht und die eine direkte personenbezogene Zentrierung aufweisen; hybrid-uneindeutige Formen, bei denen Wissensvermittlung nicht im Zentrum steht, sondern ständig mit anderen kommunikativen Formen alterniert; und medial-extensive Formen, bei denen die verbreitende Zurverfügungstellung von Wissen ohne die direkte Anwesenheit von Adressaten stattfindet. Diese Formen der Wissensvermittlung waren immer dann als einfache Wissenskommunikation zu fassen, wenn mit ihr keinerlei Personenveränderungserwartungen verbunden waren. Zu pädagogischer Kommunikation wurden sie hingegen dann, wenn eine solche personenverändernde Absicht, gekoppelt mit einer Überprüfungsoperation der entsprechend angesonnenen Aneignungsprozesse erkennbar war. In der zweiten Projektphase wurde der Umgang mit pädagogischem Wissen in den beiden sozialen Welten analysiert, dem Wissen also, das die sozialen Akteure anwenden, wenn sie Wissen vermitteln. Dieser Perspektivenwechsel öffnete das Projekt für eine professionstheoretische Fragestellung, die die Institutionalisierung pädagogischen Wissens zum Thema hatte und davon ausging, dass unter den Bedingungen fehlender und brüchig gewordener professionell-organisatorischer pädagogischer Rahmungen von Kommunikation die Bedeutung der individuellen Akteure für die Herausbildung professioneller pädagogischer Wissensstrukturen und Handlungsmuster wächst. Auf der Grundlage von Gruppendiskussionen und Experteninterviews wurden vielfältige Formen pädagogischen Wissens rekonstruiert: Vermittlungswissen, aneignungs- und adressatenbezogenes Vermittlungswissen, Überprüfungswissen, Motivierungs- und Belohnungswissen, Raum- und Zeitwissen und Beziehungswissen. Daneben zeigte sich eine Vielfalt individueller wie kollektiver Formen der Selbstbeobachtung, durch die nicht nur die Aneignungs-, sondern auch die Vermittlungsprozesse der Akteure einer kontinuierlichen Reflexion unterworfen werden. Stand in der ersten Projektphase die Analyse des Entstehens pädagogischer Kommunikation aus dem Umgang mit Wissen heraus, insbesondere der Vermittlung von Wissen, im Mittelpunkt des Interesses, so ging es in der zweiten Projektphase um die Frage des Entstehens pädagogischer Professionalität aus dem individuellen und sozialen Umgang mit pädagogischem Wissen heraus.

Die Ergebnisse beider Projektphasen haben es erlaubt, die Frage nach der Universalität des Pädagogischen differenzierter als bisher zu betrachten und dies in doppelter Weise: Zum einen mit Blick auf die implizite, mitlaufende, im Verborgenen wirkende, nur durch enorme Rekonstruktionsleistungen zu identifizierende Universalität des Pädagogischen, eines Theorems, das üblicherweise auf die Frage der Systembildung, auf die operative Ausdifferenzierung, Sichtbarkeit, Geschlossenheit und Verknüpfung seiner Elemente zielt. Das Formenspektrum des Pädagogischen als Zusammenhang von Wissensvermittlung, pädagogischer Kommunikation, pädagogischem Wissen und Selbstbeobachtung ist jedoch nach den Projektbefunden gerade dadurch gekennzeichnet, dass es mannigfaltige Verbindungen mit nicht pädagogisch markierter Kommunikation eingeht, dass es eingebettet ist in je unterschiedliche institutionelle (auch ökonomische) Kontexte, dass es durch sein uneindeutiges und diffuses Eingewobensein verdeckt, verborgen und unsichtbar bleibt. Zum anderen konnte eine Differenzierung vorgenommen werden hinsichtlich der asynchronen Verbreitung der unterschiedlichen Dimensionen des Pädagogischen: So wurde die Expansion des Pädagogischen in der erziehungswissenschaftlichen Diskussion bislang als eine eher eindimensional verlaufende homogene Entwicklung thematisiert. Begreift man das Pädagogische jedoch als einen in sich differenzierten, zusammengesetzten und instabilen Komplex von Wissensvermittlung, pädagogischer Kommunikation, pädagogischem Wissen und Selbstbeobachtung, wird deutlich, dass diese Dimensionen nicht in synchroner, sich gleichzeitig steigernder Weise ineinander greifen, sondern ungleichzeitig verlaufende Entwicklungsprozesse mit unterschiedlicher sozialer Reichweite implizieren.

Beteiligte Personen

  • Kade, Jochen, Prof. Dr. (Leitung)
  • Seitter, Wolfgang, Prof. Dr. (Leitung)
    • Philipps-Universität Marburg

Beteiligte Institutionen

  • Philipps-Universität Marburg - Studien- und Forschungsschwerpunkt ,Erwachsenenbildung/ausserschulische Jugendbildung‘ - Fachbereich Erziehungswissenschaften - Philipps-Universität Marburg
    http://www.uni-marburg.de/fb21/ebaj/index_html

Publikationen

Förderung

  • Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)