Publikation -Details

TitelLernnachweise
Zusatztitel 
Sammelwerktitel 
Autoren/Herausgeber Nuissl, Ekkehard (Hrsg.)
Seiten
Jahr1998
VerlagDIE
OrtFrankfurt/M.
Umfang54
Online verfügbar
Kurzbeschreibung

Lernnachweise: Der Ruf nach Lernnachweisen wächst, gleichzeitig der Ruf nach selbstorganisiertem und selbstgesteuertem Lernen. Nur selten wird der Widerspruch zwischen diesen beiden Zielen thematisiert. Vielleicht liegt dies daran, daß beide Ziele in derselben Ursache gründen. Gesellschaftlicher wie individueller Lernbedarf wachsen, weil das Leben wissenschaftlicher, technisierter, globaler und flexibler wird. Aus dem gleichen Grund verlieren bestehende Domänen (Sektoren, Branchen, Organisationen) an Bedeutung. Die "Halbwertzeit" von Qualifikationen sinkt, Arbeits- und Berufswechsel nehmen ebenso zu wie regionale und soziale Mobilität. Je weniger gewiß institutionelle und organisatorische Strukturen sind, desto nötiger werden Nachweise von Erlerntem und von Qualifikationen. In dem Maße, in dem das Lernen und die Lerninteressen strukturierendes Prinzip von Bildungsprozessen werden, verschwinden alte Gewißheiten wie etwa die, daß reguläre Abschlüsse von Bildungsgängen verläßlicher sind als die realen Kenntnisse und Fähigkeiten von Menschen, oder die, daß es einen grundlegenden Unterschied zwischen beruflicher und politischer Bildung gibt. Andererseits: Die (Lern-)Freiheiten von Robinson auf seiner Insel enden dann, wenn ein Schiff in Sicht kommt oder er Freitag als vollwertigen Menschen akzeptiert.

Zertifikate sind eine Vertrauensbasis. Sie können nur verwertet werden, wenn sie bekannt und langfristig stabil, nicht zu selektiv und in ihrem Entstehen transparent sind - darauf verweist Werner Dostal im DIE-Gespräch mit Klaus Meisel. Zertifikate sind aber auch, das ist die Crux, eher in den rasch wechselnden Anwendungsqualifikationen als in den extrafunktionalen "Basisqualifikationen" zu finden. Noch mehr gilt dies bei allgemeinbildenden "Schlüsselqualifikationen". Seit den Diskussionen über die politische Bildung in den 70er Jahren ist bekannt, daß man deren "Erfolg" nicht messen kann - allerdings ging es damit auch nicht um den "Lernerfolg", sondern um den "Lehrerfolg". Insofern hat die Konstruktivismus-Debatte mehr Ehrlichkeit in die pädagogische Diskussion gebracht. Heute ist wichtig, was gelernt wird, nicht, was gelehrt wird. Entsprechend, darauf verweist auch Peter-Werner Kloas, wäre der Begriff der Module nicht auf curriculare Strukturen, sondern auf einzelne, zertifizierbare Qualifikationselemente anzuwenden. Dies in pädagogische Diskussionen einzubringen ist schwierig, es ist aber auch schwierig, vertikale Modulstrukturen in individuellen Qualifikationsprofilen zu definieren, die intersubjektiv nachvollziehbar sind.

Auf ein anderes Problemfeld bei Lernnachweisen führen Albert Raasch und Horst Heidbrink. Bei ihnen geht es um die Frage, was letztlich im Zertifikat gemessen wird, meßbar ist und mittels welcher Verfahren Gültigkeit hat. Neben der generellen Aussage von Albert Raasch, daß jeder Lernnachweis auch Sprachnachweis ist, stellt sich gerade im Sprachenbereich die Frage, inwieweit die "Basisqualifikation" des Erkennens und Darstellens eigener Lernwege im sprachlichen und metasprachlichen, vor allem aber im prozessualen Geschehen des Lernens entwickelt und überprüft werden kann.

Die zunehmende Existenz von medialen Lernprozessen, gerade auch von solchen, die nicht selbstorganisiert sind, ergibt eine neue Dimension in der Überprüfbarkeit und Meßbarkeit von Leistung. Dort sind vielfach Leistungen individuell nicht zuzuordnen, Kompetenzbereiche gar nicht meßbar, dies erläutert Horst Heidbrink am Beispiel von virtuellen Seminaren und Online-Leistungsnachweisen.

Daß die Diskussion um Lernnachweise nicht nur eine solche des Bildungsbereichs ist, sondern der alltäglichen und betrieblichen Realität, wird im "Zukunftsforum" von Klaus Götz deutlich. Er beschreibt die strukturellen Veränderungen in betrieblichen Zusammenhängen und die Notwendigkeit, über Bildungsprozesse und ihre Anerkennung die notwendige Neuorganisation betrieblicher Strukturen voranzubringen.

Dies gilt nicht nur für Deutschland, sondern auch im europäischen Rahmen. André Schläfli berichtet von den unterschiedlichen Ansätzen zur Entwicklung kompatibler und akzeptierter Leistungsnachweise im europäischen Rahmen; bei der internationalen Akzeptanz formalisierter Leistungsnachweise auf Lernerseite spielen in noch größerem Maße politische Dimensionen eine Rolle als im nationalen Bereich. Entsprechend interessant sind die Aussagen von Barbara Merrill und Stephen Hill, welche den englischen Part des europäischen Projektes zur Anerkennung von Erfahrungslernen (APEL) darstellen (der deutsche Part ist an der Universität Bremen angesiedelt).

Was Weiterbildungszertifikate für den oder die einzelnen bringen, wollten wir von vier ehemaligen Teilnehmerinnen und Teilnehmern an DIE-Seminaren mit Zertifikatsabschluß wissen: Ihre Antworten finden Sie in einem Artikel zusammengefaßt.

Die vielerlei Facetten politischer, pädagogischer, betrieblicher und methodischer Art, welche mit Lernnachweisen verbunden sind, werden in den Beiträgen dieses Heftes angesprochen. Sie kennzeichnen eher den Beginn einer Diskussion als einen Zwischenstand. Und sie umkreisen auch nur - mangels konkreter Belege - den eingangs genannten Strukturkonflikt zwischen selbstorganisiertem und selbstgesteuertem Lernen einerseits und extern gesetzten und abgefragten Leistungsnachweisen andererseits. Sie machen aber auch auf der konkreten Ebene Hoffnung darauf, daß sich ein solcher Widerspruch im Konkreten auflösen lassen kann.

Das Bildthema dieses Heftes ("Kriegsfotos") widmet sich dem Einsatz deutscher SFOR-Truppen in Bosnien.

Abstract
Behandelte Epochen 
Behandelte Region 
Behandelte Personen
Behandelte Institutionen